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Hannes Wader zu Mikis Theodorakis († 2021)

Verfasst: Do 16. Sep 2021, 11:30
von Viktor
Hallo zusammen,

seit gestern Abend gibt es mal wieder einen neuen Eintrag auf Hannes' Webseite. Etwa zu seiner eigenen Rückkehr auf die Bühne diesen Monat oder Zukunftsplänen? Nichts dergleichen - stattdessen findet er ein paar Worte zum am 2. September 2021 verstorbenen Mikis Theodorakis:
Mikis Theodorakis

Mikis Theodorakis ist tot. 96 Jahre alt ist er geworden. In seiner Heimat Griechenland wurde er – und wird er noch – als Volksheld verehrt. Mikis Theodorakis war, ist und bleibt auch einer meiner Helden. Schon in seiner Jugend, noch ehe er mit seiner wunderbaren Musik zu Weltruhm gelangte, kämpfte er mit der Waffe in der Hand gegen die deutschen Faschisten, die sein Land okkupiert hatten; landete im KZ, wurde gefoltert. Als sich nach dem Krieg die griechische, ebenfalls faschistische Militärjunta 1967 an die Macht putschte, wurde Theodorakis abermals verhaftet, wieder schwer misshandelt und seine Musik verboten. Einige seiner – wie er – weltberühmten Freunde und Kollegen (unter ihnen Harry Belafonte – auch einer meiner Helden – und noch lebt er) setzten sich erfolgreich für seine Freilassung ein. Was für ein Leben.

Ich hatte die Ehre, ihm mehrmals (unter anderem in den 80er Jahren in Moskau) persönlich zu begegnen. Mehr als 1000 Lieder hat Mikis Theodorakis komponiert. Er hinterlässt ein gewaltiges unvergessliches Werk. Ich habe mir erlaubt, zu einer seiner Melodien den folgenden Text zu schreiben.

Um eine bess're Welt… (Sto Perigiáli to Krifo)

Um eine bess're Welt zu schaffen,
zogen wir einst zum Kampf hinaus,
[vollständiger Text auf hanneswader.de]

(gr. Text: Giorgos Seferis / dt. Text: Hannes Wader / Musik: Mikis Theodorakis)
Schön, von Hannes zu hören -- auch wenn es (mal wieder) ein trauriger Anlass ist.

Viele Grüße
Viktor

Hannes Wader zu Mikis Theodorakis († 2021)

Verfasst: Do 16. Sep 2021, 16:49
von Michael
Ich habe mich ehrlich gesagt gewundert, dass der Tod von Theodorakis hier kein Thema war (okay, ich hab ja auch nichts geschrieben). Abgesehen von der faszinierenden Persönlichkeit und der schier unglaublichen Lebensgeschichte, die ihn nicht nur auf alle Bühnen und in alle Arenen der Welt geführt hat, sondern auch ins Folterlager und an den Kabinettstisch, war er doch ein großer Liedermacher. Ich wüsste keinen, der wie er in der Lage ist, Lieder zu schreiben, Filmmusik, hochkomplexe symphonische Werke und Kammermusik. Muss man erstmal nachmachen. Und er hat moderne griechische Lyriker so vertont, dass ihre Texte zu Schlagern wurden, die die Menschen auf der Straße gesungen haben. Man stelle sich das mal mit Gedichten von - was weiß ich - Günter Grass oder Durs Grünbein vor.

Michael

Hannes Wader zu Mikis Theodorakis († 2021)

Verfasst: Do 16. Sep 2021, 17:04
von Westwind
Michael Zitat: Do 16. Sep 2021, 16:49
Ich habe mich ehrlich gesagt gewundert, dass der Tod von Theodorakis hier kein Thema war
Stimmt, hier leider nicht.
Aber Skywise hat Theodorakis am Abend der Todes-Meldung (2.9.) ausgiebig in seiner Plattenbau-Sendung gewürdigt.

Da ich vorher auch nur Bruchstücke seines Schaffens kannte, obwohl er mir seit Jahrzehnten ein Begriff ist, habe ich dadurch etwas, aber wirklich auch nur etwas mehr Einblick in seine Musikalität erhalten. Anders als andere Musiker, die oftmals nur kritische Themen besingen, hat sich Theodorakis auch aktiv eingemischt mit allen drohenden und letztendlich auch tatsächlich einhergehenden Konsequenzen.

Georg

Hannes Wader zu Mikis Theodorakis († 2021)

Verfasst: Mo 20. Sep 2021, 22:02
von Reino
Kann hier jemand Griechisch und kann mir verraten, ob es im Originaltext von ME TOSA FILLA auch so totalitär klingt wie in der deutschen Version (Übersetzer wird in der GEMA-Datenbank nicht genannt), die der Oktoberklub singt: "Die ganze Erde uns und kein Stück unsern Feinden!".

https://www.youtube.com/watch?v=IschgLohMLE 

Vielleicht hier etwas besser verständlich (aber auch nur vielleicht):

https://www.youtube.com/watch?v=Bhi-CsJ6Jac 

Hannes Wader zu Mikis Theodorakis († 2021)

Verfasst: Mo 20. Sep 2021, 22:53
von Skywise
@Reino:
Na ja, einen Preis gewinne ich mit meiner Übersetzung wahrscheinlich nicht, aber ich hoffe, daß ich den Sinn nicht verfehle:
Mit so vielen Blättern zwinkert dir die Sonne ein 'Guten Morgen' zu,
Mit so vielen leuchtenden Flaggen leuchtet, leuchtet der Himmel
die einen befinden sich hinter Eisenstangen, die anderen unter der Erde.

Ruhig! Bald werden die Glocken läuten!

Unter der Erde halten sie das Seil der Glocke in ihren über Kreuz liegenden Händen,
sie warten auf den Augenblick, da sie die Auferstehung einläuten.
Diese Erde ist die ihre und die unsere, keiner kann sie uns allen nehmen.

Ruhig! Bald werden die Glocken läuten!

Diese Erde ist die ihre und die unsere.
"hinter den Eisenstangen" deute ich hier als: "im Bau" und nicht als "hinterm Flaggenmast".

ich' hab' jetzt nicht recherchiert, wie, wann und wo das Lied entstanden ist, also ob es auf irgendwelche aktuellen Bezüge anspielt ... hast Du weitere Informationen?

Gruß
Skywise

P. S. nach Gang in Richtung Plattenbauplattenregal und Plattenspieler: Oktoberklub-Deutsch von Bernd Jentzsch und Klaus-Dieter Sommer
Und - ich würd' jetzt nicht behaupten, daß die Oktoberklub-Variante wesentlich harmloser ist als das Original. Aber ich hab' das Gefühl, daß bei der Oktoberklub-Variante eine Menge übertriebenes Pathos mit von der Partie ist ... es klingt eher kämpferisch als überzeugt. Wobei mir zu wenig gute griechische Interpretationen des Stücks zum Vergleich vorliegen.

Hannes Wader zu Mikis Theodorakis († 2021)

Verfasst: Di 21. Sep 2021, 03:28
von Reino
Herzlichen Dank.

Die Übersetzung stammt offenbar von 1970 (das Lied ist von 1968, soweit man Quellen im Internet trauen darf):
https://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/Jannis-Ritsos+Die-Wurzeln-der-Welt-Gedichte-Nachgedichtet-von-Bernd-Jentzsch-und-Klaus-Dieter-Sommer/id/A028Nbnu01ZZ8 

Die Gedichte von Ritsos könnten während der Militärdiktatur 1967–74 in Griechenland entstanden und auch in diesem Kontext zu lesen sein. Allerdings wurden Ritsos und Theodorakis früh inhaftiert. Vielleicht verrät das Nachwort von Jentzsch und Sommer etwas darüber.


Hier eine besser verständliche Aufnahme:
https://www.youtube.com/watch?v=yE1Z8arEu0E 
Diese Erde ist die ihre und die unsere, keiner kann sie uns allen nehmen.
sagt doch eigentlich das genaue Gegenteil der Übersetzung aus:
Die ganze Erde uns und kein Stück unsern Feind
Ich hab das Lied vor 40–50 Jahren zu selten gehört, um mich damals an der Zeile zu stören. Aber heute würde man das eher den Taliban zuschreiben (auch wenn die es vielleicht nicht so sehr mit dem Glockenläuten haben).