Liebe Rex2005,
vielen Dank für Tipp und das Video. Ich las Eisbrenner und hatte eine bestimmte Erwartung dazu, was in diesem Interview zum Besten gegeben werden würde. Mir fehlte bisher die Zeit, mich damit auseinander zu setzen und bin deshalb Moni und Gerd dankbar für ihre Meinungen zu dem Interview. Ein paar Dinge gehen mir nicht in den Sinn - und auch nicht aus dem Kopf, auf die ich hier eingehen möchte:
Ab 3:08 geht es um die Kindheit in der DDR, die er so erlebt hat, dass es um ein gutes kollektives Erlebnis und eine Gemeinschaft ging, bei der der "Egoismus des Einzelnen" nicht wichtig war. Er sagt dazu auch, dass er das aber nicht "glorifizieren" möchte, weil er durchaus einsieht, dass es "exotische Künstler" schwer hatten, in diesem System zu bestehen.
https://youtu.be/gqb929Wg5Y0?t=174
Ich frage mich, was mit dem "Egoismus des Einzelnen" gemeint sein könnte im Zusammenhang mit einem "exotischen Künstler", irgendwie erinnert mich das an den Papagei in einem Gerhard Schöne Lied, der von den Spatzen totgeschlagen wird, weil er nicht so aussieht wie sie und irgendwie nicht so grau ist... Vielleicht tue ich dem Künstler Eisbrenner unrecht, aber ich denke, die "Freiheit des Individuums" sollte gefördert werden, nicht die "Pionierorganisation". Mir gefällt das Bild von der Hecke ganz gut, die nach seinen Worten deshalb geschnittten werden muss, damit sie insgesamt gut wächst. Wohin die Hecke wachsen soll, kann durch den Schnitt bestimmt werden, aber dabei geht es nur um die "äußere Erscheinung" und es hat nichts mit der "Qualität" der Hecke z.B. im Sinne eines guten Lebensraums für die Lebensarten im inneren der Hecke zu tun. Insofern finde ich sein Bild gut, aber anders als er es meint, denn für mich war die DDR (um in diesem Bild zu bleiben) eine Hecke, die durch gezielten Schnitt (durch den Staatsapparat) nach "außen" ein Gesellschaftsbild darzustellen versuchte, was nicht der Realität entsprach, und nach "innen" ebenfalls nur eine Illusion war.
Ab 5:20 sagt er einen Satz, der mich sehr stutzig macht: "Ich wehre mich eigentlich dagegen...das man zuviel vom System spricht...also ein System DDR würde mich...mit großer Vorsicht formulieren...weil, in ganz vielen Sachen war es ein großes Ausprobieren...da war überhaupt noch kein System"
https://youtu.be/gqb929Wg5Y0?t=316
Die DDR war kein Experiment, sondern eine Diktatur! Darauf würde ich mich festlegen. Von Anfang an ging es nicht um eine "bessere Welt" und eine "bessere Alternative zum Kapitalismus", sonst hätte man die Menschen, die dieses "Experiment" nicht mitmachen wollten ja nicht einsperren müssen. Hier ging es
nicht um die Freiheit und die Entfaltung des einzelnen Menschen, sondern um die Erhaltung eines Unrechtssystems um der Erhaltung willen! Hätte man wirklich wissen wollen, was die Menschen von diesem System halten, hätte man echte freie und unabhängige Wahlen durchgeführt mit gleichen Chancen für alle, die sich an gemeinsame Regeln halten wollen und nicht andere ausgrenzen, weil sie "exotisch" sind und nicht so grau, wie die Masse.
Ab 06:30 erklärt Tino Eisbrenner, dass es in der DDR nach seiner Wahrnehmung allen Bügern klar gewesen ist, dass es darum ging, dass gerade etwas probiert wurde, was es so noch nicht gegeben hatte, und die daraus entstandenen Diskussionen wären offen geführt worden und ohne "Standesdünkel" und dass jeder Genosse bei einem Gespräch mit z.B. dem Betriebsdirektor auf Augenhöhe sprechen konnte auch mal mit der Faust auf den Tisch schlagen konnte und sagen: "so machen wir das nicht mehr und so wollen wir das nicht" und der Betriebsdirektor wäre gezwungen gewesen, die Dinge zu erklären und eventuell zu korrigieren. Eisbrenner sagt, das wäre eine der Sachen, die gut in der DDR funktioniert hätten und die wir "heute verloren haben".
https://youtu.be/gqb929Wg5Y0?t=397
Es fällt mir ehrlich schwer, diesen Teil des Gespräches als ernst gemeinten Beitrag zu sehen. Nach meiner Erinnerung gab es in der DDR sehr wohl auch eine Mehr-Klassen-Gesellschaft, die aber (wie das passende Bild mit der Hecke sehr gut veranschaulicht) durch gezielten "Schnitt" nach außen hin verborgen werden sollte. Das gelang nicht, und auch im Inneren der DDR war es allseits bekannt.
80-90% der DDR-Bürger gehörten zu der
zweiten Klasse, weil sie nicht entscheiden durften, was sie lesen, hören, sehen und denken. Essen und Trinken gab es, ob es genug war und ob es den eigenen Ansprüchen/Wünschen genügte, war abhängig von den eigenen Bedürfnissen. Ich würde sagen das waren die "normalen Arbeiter". Nicht immer zufrieden und oft voller Zweifel, aber insgesamt angepasst und nicht ausreichend interessiert daran, an dem bestehenden System grundsätzlich etwas zu verändern, weil "Veränderung" nicht immer auch "Verbesserung" bedeutet. Diese Menschen waren es Ende der 1980er Jahre, die das Ende der DDR friedlich erzwungen haben, weil sie sich irgendwann sinngemäß sagten: "Ich weiß zwar nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber es muss sich endlich etwas ändern, damit es besser werden kann".
Lediglich
2-5% der Menschen in der DDR gehörten zur
ersten Klasse und waren "gleicher als gleich" (siehe Georg Orwell: "
Die Farm der Tiere "). Dies waren Parteimitglieder in besonderen Ämtern, Mitglieder der Regierung und der Staatsführung, führende Mitglieder der Stasi und anderer Sicherheitsorganisationen sowie Sportler und Künstler, die von der Staatsführung für besondere Dienste an der Sache honoriert wurden - aber auch nur, solange sie der "Sache" dienten und ihre Rolle wie vorgesehen spielten. Diese Menschen profitierten vom "System" und hatten demzufolge auch kein Interesse an einer Veränderung der Verhältnisse.
Aber in der DDR gab es mindestens eine weitere,
dritte Klasse von Bürgern und zu denen zählten die in Ungnade gefallenen "Individuen", welche sich erdreisteten, gegen das Regime aufzubegehren und sich eine eigene Meinung leisteten, die von der allgemein gültigen und anerkannten Meinung abweichte. Diese Menschen wurden unterdrückt, weggesperrt, stigmatisiert, gepisackt und ausgebürgert. Außerdem gab es viele Menschen aus anderen Teilen der sowjetischen Brüderstaaten, die zwar in der DDR lebten und arbeiteten, aber keine Rechte und Teilnahmemöglichkeiten hatten.
Mir ist die Darstellung von Tino Eisbrenner in diesem Teil des Interviews zu platt, wenn er sagt: "Wir haben heute sowohl Standesdünkel...wir haben eine Mehr-Klassen-Gesellschaft...die die den Reichtum haben beeinflussen natürlich das Leben dessen, der den Reichtum nicht hat...und die Dinge so nehmen muss, wie sie ihm serviert werden...die den Reichtum haben beeinflussen die Politik...was jetzt übrig ist...dass die Gesellschaft die wir jetzt haben...eigentlich nur noch einen Wertmaßstab hat...Geld" -> das Fazit an dieser Aussage gehe ich mit, aber nicht den Grundtenor, der mitschwingt, dass dies ein Phänomen vom heutigen Deutschland ist und das es in der DDR anders gewesen sein soll.
Mehr schaffe ich aus zeitlichen Gründen nicht zu kommentieren und bin gespannt darauf, ob es zu diesem Interview noch andere Meinungen gibt, vor allem von Menschen, die selber in der DDR aufgewachsen sind und dort bis zum Ende und nach der Wende gelebt haben...
migoe
P.S.
Das Video stammt von "Russia Today" (RT) und das ist für mich ein Propagandakanal der russischen Regierung. Jeder sollte sich dessen bewusst sein.