Jetzt der zweite Anlauf mit abgeschwollenem Hals
Liebe Nicole
ja, es waren vor und im Wald ne Menge Leute unterwegs. Ich bin Samstag nur auf dem Acker an der Mahnwache gewesen, vor dem Wald, auf dem die Kundgebung stattfand, die phasenweise Festivalcharakter hatte. Dafür haben sicher auch die vielen Fans von Revolver oder Cat Ballou gesorgt, die textsicher nahezu alle Lieder mitsingen konnten, oder von Höchste Eisenbahn oder Tonbandgerät.
Ich will nicht darüber spekulieren, wie groß oder gering deren echtes Interesse an Klimaschutz und Hambacher Wald gewesen sein mag. Sie haben im Zweifel sicherlich zum friedlich-fröhlichen Charakter der Veranstaltung beigetragen, die nach den beiden vorausgegangenen Gerichtsurteilen ja auch durch ein richtiges Fest werden sollte und wurde. Schade nur, dass auch hier durch begrenzte organisatorische Fähigkeiten der lokalen Ordnungskräfte, die Autobahnabfahrten empfohlen und dann wiederum gesperrt hatten, der Eindruck aufkommen konnte, hier werden absichtlich Leute daran gehindert, zum Ort des Geschehens zu kommen, damit die Masse der Leute nicht noch beeindruckender (und RWE beschämender) wird. Die Demonstrationsfreiheit lässt sich ganz subtil einschränken.
Was die „Aktivisten“ angeht, darf man nicht annehmen, es wäre ein homogener Block. Da gibt es solche und andere, die deutlich unterschiedliche Sichtweisen haben, oder auch nur in Nuancen. Nach Bodo Wartkes Kurzkonzert am Sonntag hatte sich beispielsweise ein „Aktivist“ das offene Mikrophon erbeten und seinen Unmut darüber geäußert, dass die ursprüngliche Besetzerszene so von den NGO’s wie Greenpeace oder Campact oder den Parteien überrollt worden sei, und es einigen der Aktivisten - so wie ihm - gar nicht um den Wald oder das Klima, sondern um die Umsetzung einer anderen Lebensweise gegangen sei und man zur Durchsetzung der Freiheit, so leben zu können, durchaus auch zur Militanz bereit sei.
Es gab aber auch die Mehrheit der anderen, denen klar gewesen sein wird, dass es ohne die breite Solidarität und Bereitschaft zu Abstrichen an Maximalforderungen keinen erfolgreichen Rechtsweg zur Durchsetzung eines vorläufigen Rodungsstopps gegeben hätte. Das haben weniger die Waldschützer in den Bäumen erreicht – die haben aber immerhin das Thema wach gehalten und damit auch das Interesse der Öffentlichkeit –, sondern die Naturschützer mit ihrem Hinweis auf Fledermäuse und die bestimmte Zusammensetzung der Flora in diesem Restwald. So gab es eine gesetzliche Grundlage, mit der man sich juristisch auseinandersetzen kann. Und sowas dauert ja seine Zeit.
Was die eindrucksvolle Masse des Publikums angeht, kann ich „liederlich“ antworten:
Mehr oder weniger
Ob es fünfzigtausend waren oder mehr,
dreißigtausend oder etwas weniger -
wenn ich auch nur vor fünfzehn Leuten sing,
oder vor dreißig - wie ich das dann fertig bring...?
Man schwebt wie über einem Kissen, weich und leicht,
und fragt sich, kann es etwas geben, was dem gleicht?
Da hören all die Menschen zu und jetzt dein Lied -
und du kannst nicht erklären, was mit dir geschieht…
Es kamen all die Menschen nicht für mich hierher,
um meine Lieder ging es nicht, es ging um mehr.
den einen ging’s ums Klima, andern um den Wald -
man kommt den Zielen näher mit Zusammenhalt.
Selbst ernannte Anarchisten wolln ihr Recht
ihr Leben zu leben, so auf ihre eigene Art gerecht.
Andern geht es um die Zukunft dieser Welt,
sie für die Nachkommen beschützt, bewahrt, erhält.
Heimatschützer wolln nicht, dass man sie vertreibt
Naturbeschützer wolln, dass die Natur so bleibt,
für Strom auch keine braune Kohle mehr verbrennt,
von der Idee, mit Geld geht alles, sich mal trennt.
Manche wolln ein Zeichen setzen und sich wehr’n,
im Wald spazier, um kein Verbot sich scher’n,
ein Konzern soll sich nicht nehmen, was er will
der Regierung sehn, man ist nicht länger still.
Vor all den Leuten, manche warn weit weg,
hab ich gesungen, nicht gefragt nach Sinn und Zweck,
konnte sehen, manche hörten wirklich hin,
und so ergab der Auftritt für mich seinen Sinn.
Zu hören, wie ein Lied von mir auf einmal klingt,
kann man nicht übersehn, wer alles mit mir singt,
in ein Gefühl, das man so schnell nicht mehr vergisst –
wenn’s im Normalfall wieder völlig anders ist…
Ich schick Dir demnächst die neue Doppel-CD, die ja bereits einen Doppel-Vorläufer mit Liedern zum selben Thema hatte…
Herzlich
Gerd
Damit was geschieht, muss zunächst was passiern.
Muss man, eh sich was ändert, denn erst was verliern?
Eh man sich erholt, bleibt keine Zeit auszuruhn,
denn eh sich was tut, muss man selber was tun.