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CD-Besprechung "Zanmi Nou"

Verfasst: Sa 7. Nov 2015, 10:39
von Anne1986
Kreolische Chansons, die einfach nur bezaubern und ihre Zuhörer auf eine musikalische Reise nach Haiti einladen

Die einzigartige CD „Zanmi Nou“ (Mai 2015) mit einigen der schönsten Liedern des haitianischen Poeten und Songschreiber Jean-Claude Martineau, interpretiert von TiCorn, Beethova Obas und erstmalig von ihm selbst, spiegelt in Musik und Text das Lebensgefühl der Karibikinsel wider.

Lange blieb es ein Traum der traditionellen Sängerin TiCorn, zusammen mit befreundeten Musikerkollegen und Größen wie Beethova Obas und Jean-Claude Martineau ein Kulturprojekt wie dieses zu realisieren: „Die wunderbaren Chansons von Jean-Claude Martineau haben mein Leben begleitet. Dieses kostbare Liedgut wünschte ich mir für kommende Generationen so authentisch wie möglich festzuhalten!“ Nun ist es den drei haitianischen Künstler gemeinsam mit dem Produzenten Brahm Heidl gelungen: mit dem Album „Zanmi Nou“ (=„Unsere Freunde“)

Und Freunde gab es wahrlich viele, die die Umsetzung unterstützten: Ob als fester Bestandteil der Begleitung, die durch weitere Instrumente den Klang bereicherten, wie Multi-Instrumentalist Brahm Heidl (Bass, Flöte, Gitarre, Klavier, Ukulele, Gesang ...) und Ronald Nazaire an der haitianischen“Tanbou“ (Voodoo-Trommel), oder ob durch Partizipation als Gastmusiker, welche dankend im schön gestalteten Booklet erwähnt werden. Wer der kreolischen Sprache (Wurzeln im Französischen, afrikanische und indianische Einflüsse) nicht mächtig ist, kann in ebendiesem nachlesen, um welche Inhalte es in den einzelnen Liedern geht und auch welcher der vielen Rhythmen genau gespielt wird. Doch manchmal ist es auch einfach nur schön, den exotischen Klängen akustischer Instrumente und dem mehrstimmigen Gesang zu lauschen ...

Zwölf abwechslungsreiche Lieder und einen Bonustrack enthält das Album, eröffnet mit dem schwungvollen Titelsong „Kilès ki zanmi nou“ als Trio, mit Gastmusiker Toto Laraque am Banjo. Die Botschaft des Songs: „Wir sind alle aufeinander angewiesen und auf der Suche nach wahren Freunden. Wo finden wir Unterstützung, die uns Haitianer nicht im Stich lässt?“ Dass es nämlich auch falsche Freundschaft gibt, davor warnt Beethova Obas in seinem Solostück „Lamitye sou pye parese“ im traditionellen Troubadour-Rhythmus: „Die Pflanze, die sich 'Freundschaft' nennt, kann eine heimtückische, dich umschlingende Liane sein, die alles nimmt, aber nicht bereit ist, etwas zu geben. Nimm dich in Acht!“ Bei der Leichtigkeit des Gesangs käme man nur über den Höreindruck nicht auf diese Metapher!
Ähnlich ergehen könnte es einem bei der zu Herzen gehenden Ballade „Machann Plezi“ von TiCorn, deren ernste Thematik erst bewusst wird, wenn man sich mit dem Text auseinandersetzt: „Ich bin nicht länger das junge, unschuldige Mädchen, das du kanntest und liebtest. Alles ist käuflich in der Stadt! Hier, wo ich hinkam, um ein neues Leben finden, gehen Mädchen so leicht verloren auf dem 'Freudenmarkt'“. Ein weitaus hoffnungsvolleres und dennoch sehnsuchtsvolles Bild von Haiti schaffen die Lieder „Pitimi san gadò“ und „Ti sous“ :Ersteres, als Trio im Gospel mit Chorstimmen (Silke Haman, Dominique Obas und Brahm) gesungen, und von Pascal Laraque am Akkordeon begleitet, ist eine Aufforderung an die Bevölkerung, nicht aufzugeben: „Meine Brüder, meine Schwestern, erhebt euch! Wir sind wie Hirsekörner, die schutzlos in der Sonne zum Trocknen ausgelegt sind. Manche behaupten, wir seien nichts wert, dass wir Unglück anziehen. Lasst uns ihnen zeigen, was wir erreicht haben, als wir Haiti gründeten.“ „Ti sous“ hingegen wird von der klaren Stimme TiCorns und dem warmen Basstimbre Jean-Claudes getragen. Michael Sieg am Englisch Horn untermalt diese magische Stimmung. Der Text lebt aus (Vor-)Bildern der Natur: „In einem geheimen Hochzeitsbund schenkt ein kleiner Gebirgsquell sein frisches Wasser einem jungen Bambus, der ihm wiederum seinen schützenden Schatten verspricht. Wenn das haitianische Volk diesem Pfad der Liebe folgt, wird es nicht lange dauern, dass es sie alle nach Hause zurückzieht ...“

Ein immer wiederkehrendes Thema, neben der Liebe zur Heimat, ist die Suche nach und Hoffnung auf Freiheit, die sich ohne eigenes Zutun nicht realisieren lässt, wie es Beethova Obas in „Libète“ (Liberté) eindrücklich besingt: „Land der Freiheit, hierher kam ich vergeblich, um dich zu sehen. Ich weiß nun, ich kann dich erst mein Eigen nennen, an dem Tag, wo ich dich mit meinen Händen erbaue in Farbe und Gestalt meiner Heimat.“ „Nanpwen“ , das von Brahm Heidl besonders schön auf der Flöte begleitet wird, macht ergänzend dazu Mut, für Freiheit einzutreten: „Nichts kann die Sonne daran hindern, aufzugehen, oder den Fluss, sich seinen Lauf zum Meer zu bahnen. Eine Idee kann man nicht hinter Gitter sperren, und Worte der Wahrheit nicht für immer ersticken.“ Ein Einzelschicksal erzählt das schwermütig klingende „Vyewo“ , das als Filmmusik „Citizens of Nowhere“ (2015) die aktuelle Problematik mit der Dominikanischen Republik aufzugreifen scheint: Über seinen Cousin erhält Vyewo, ein Zuckerrohr- Feldarbeiter fernab der Heimat, die verzweifelte Bitte seiner Familie, nach Haiti zurückzukehren, wo er von allen gebraucht wird. Wie aber das Schicksal und der Lebensweg dieses Arbeiters ausgehen, bleibt offen, so wie es auch in dem philosophischen Stück mit Erzählpassagen von Jean-Claude Martineau „Sou chimen pèdi tan“ heißt: „Wir wandeln alle auf dem Weg der Zeitvergeudung. Wenn wir wüssten, wohin wir gingen, und warum, wären wir schon längst am Ziel.“

Zwei wunderschöne und liebevoll-persönliche Balladen sind „Plezans“, das dem Heimatdorf auf Haiti gewidmet ist, mit dem Versprechen, zurückzukehren (hier singen TiCorn und Jean-Claude erstmals im Duett), und „Lavi nouvo“ , die Freude darauf, bald Mutter zu sein, ein neues Leben zu tragen und zu schenken. TiCorns warme Stimme wird in diesem Stück von Blai Vidal an der Weissenborn-Gitarre dezent unterstrichen.
Als Jean-Claude Martineaus „Nationalhymne auf Haiti“ gilt schließlich „Lè la libere Ayiti va bel“ , bei der die von Ronald Nazaire gespielte Tanbou besonders zum Tragen kommt, unterstützt von Christian Hoel Skjonhaug am Kontrabass: „Morgen, wenn unser Haiti frei ist, werden wir alle in den Straßen singen und tanzen. Wie wunderschön wird das sein!“ Im fröhlichen Finale gibt es hierbei einen Rhythmuswechsel und Chorus, der den afrikanischen Einfluss in der kreolischen Musik und Sprache noch deutlicher werden lässt.
Der Bonustrack ist eine Aufnahme aus dem Jahr 1991, der bekannte Hochzeitssong „Deklarasyon“ von TiCorn und Jean-Claude, eine Liebeserklärung der besonderen Art mit wechselndem und ineinander fließenden Gesang: „In allen Liebeserklärungen gibt es Komplimente und Versprechungen. Ich habe keine Wortgewandtheit oder gar Reichtum anzubieten. Ich schlage dir etwas anderes vor: Lass uns Seite an Seite auf einem Weg gehen, der breit genug für uns beide ist. Du sollst nicht meine Dienerin oder Sklavin sein. Sei meine Begleiterin, meine Kameradin – meine Freundin.“

In einem Gespräch mit TiCorn erfuhr ich noch folgende interessante Details:
Jean-Claude Martineau, ein Urgestein der haitianischen Kultur, prägt seit Jahrzehnten die Musikszene seiner Heimat. Er, der so viele Texte und Kompositionen schrieb, krönt nun seine Legende, indem er diese mit seiner angenehmen und zugleich ausdrucksstarken Stimme auch selbst singt. Bekannte und bis dato unveröffentlichte Chansons sind auf dem Album “Zanmi Nou” zusammengetragen und mit sensiblen Arrangements von Brahm Heidl akustisch in Szene gesetzt, musikalisch zusätzlich unterstützt von Haitis Groove-Master Beethova Obas. Mehrere Jahre arbeitete die deutschstämmige Interpretin TiCorn (“petite Cornelia”) zusammen mit Brahm Heidl sowohl in dessen SOS Tonstudio auf Mallorca wie auch in Montreal an diesem Album, das ihr seit langem am Herzen lag: Eine Hommage an ihren Freund, ihr künstlerisches Vorbild Jean-Claude Martineau, in Haiti auch “Koralen” genannt.
Freunde karibischer Klänge und Weltmusik, und alle, die sich für fremde Sprachen interessieren, sind eingeladen mit “Zanmi Nou” in die Musikkultur Haitis eintauchen.
Infos und Kontakt über www.TiCornMusic.com 

Anne Drerup – freie Autorin und Rezensentin beim Online-Kleinkunstmagazin “Ein Achtel Lorbeerblatt”
Copyright August 2015