Hallo Leute,
möchte mal wieder was zum Album sagen und erstmal ein paar der Diskussionspunkte aufgreifen:
Vergleich mit Johnny Cash/ American Recordings?
Würde auch sagen: Der Vergleich hinkt. Hannes hat sich hier ja nicht neu erfunden und einen Produzenten wie Rick Rubin zur Seite gestellt bekommen o.ä., er ist lediglich bei einer neuen Plattenfirma und macht da doch eigentlich das, was er immer gemacht hat (plus mehr Marketing :D). Bei Facebook (und anderswo?) gab's ja auch eine Weile Werbung a la "Der deutsche Johnny Cash ist zurück", aber verschwand dann zum Glück schnell wieder.
Gesang wie mit Kartoffeln im Mund/ alternde Fans feiern ihren Star?
Ja, also was heißt alternd? Alternd sind wir doch alle

. Nein, aber vielleicht gibt es wirklich manchmal die Gefahr, dass man aus Begeisterung für einen Künstler irgendwie blind ist für die Macken an einem neuen Werk. Aber ich versuche eigentlich immer, recht kritisch zu bleiben, und finde hier trotzdem beim besten Willen keinen Anhaltspunkt für schlechten Gesang von wegen Kartoffeln im Mund. Er singt gut, und für meinen Geschmack besser als auf den alten Platten. Früher würde ich eher (wie bei Reinhard Mey) Überbetonung attestieren - mit der "Altersmilde" kommt vielleicht etwas Mut zu zart gesungenen Passagen dazu, aber das heißt nicht, dass die Kraft fehlt...
Also, Marianne, ob dir das Album gefallen würde oder nicht, kann wohl keiner voraussagen, aber an der Qualität des Gesangs wird es bestimmt nicht scheitern. Ist wohl eher alles eine Frage der Song-Auswahl (mit der ich persönlich zufrieden bin).
Meine Eindrücke nach dem x-ten Hören
Auf dem Album gibt es 6 Songs, die 100% neue Wader-Originale sind, 1 Vertonung eines Gedichts von Manfred Hausin, 3 Songs, die Wader ins Deutsche übertragen hat, und 2 Cover-Songs.
Ich gehöre eher zu der Fraktion, die die Übertragungen von Turn turn turn, Les feuilles mortes und Last thing on my mind sehr gutheißen kann. Diese Songs, genau wie das Degenhardt- und Wecker-Cover, haben textlich nicht so eine große "Wucht" - sie erzählen nicht unbedingt viel Story, sondern konzentrieren sich eher auf einen Einzelaspekt und vermitteln eine entsprechende Stimmung. Das ist meiner Meinung nach ein guter Gegenpol zu den Wader-Originalen, die größtenteils mit viel Erzähl-Text daherkommen.
Ausnahme bildet da so ein bisschen Alter Freund (ein Lieblingslied von mir): Wunderbare Musik und eine vergleichsweise langsame Erzählstruktur mit toller Bildsprache. Jürgen, das Lied findest du auch eher zweitklassig? Hätte gedacht, dass das bei jedem ein Favorit sein muss, hehe - so verschieden sind Geschmäcker.
Dann ist da noch Boulevard St. Martin, das eine wahre Geschichte erzählt, bei der man quasi mitfiebern muss: Der jüdische Widerständler Peter Gingold flieht in Paris aus der Gewalt der Nazis. Super gemacht; ein tolles musikalisches Denkmal. Das Song-Konzept erinnerte mich beim ersten Hören ein bisschen an das in "Víctor Jara" (2001), aber natürlich nur entfernt.
Der Drachen schneidet (wie so oft bei Hannes) eine Kindheitserinnerung an. Gesangsmelodie und Versmaß sind aus einer Kategorie, die sehr konzentriertes Zuhören erfordert. Das wirkte auf mich anfangs irgendwie holprig, aber ist an sich typisch Hannes und gefällt mir mittlerweile gut. Eigentlich ein ganz zartes Lied.
Die anderen drei neuen Original-Songs können alle eher als humorvoll bezeichnet werden. Das sind bei mir dann meist die Lieder, die ich nicht allzu oft hören kann - nicht, weil sie schlecht gemacht sind, sondern weil der Witz natürlich irgendwann raus ist. Wobei ich hier zum Lied vom Tod und Nah dran sagen muss, dass ich beide trotz ihrer jeweils immensen Länge für sehr gut gemacht halte - alle Strophen haben ihre Berechtigung und irgendwie ihren eigenen Witz.
Mahlzeit, das sich u.a. mit Gründen beschäftigt, warum man eigentlich Vegetarier sein sollte, gefällt mir am wenigsten. Ich weiß noch nicht ganz, ob es am Arrangement oder am Songwriting liegt. Allerdings hat sich der Refrain mittlerweile gut in mein Ohr gefressen - eigentlich auch typisch Wader, einen längeren, prägnanten Satz mit einer eingängigen Melodie als Refrain zu verwurschteln (vgl. z.B. "Emma Klein" [1980] Will nur mal fragen....; "Stellungnahme" [2004] Ist Stillschweigen klüger....).
Hmmmm, so, jetzt hatte ich ja kaum was zu Meckern. Bin womöglich doch ein alternder Fan, der seinen Star preisen muss

Viele Grüße,
Viktor
...