Lieber Gesch,
dies ist eine sehr interessante Frage. Widerspruch einlegen? Soll man sich beschweren, über eine gewisse Arroganz, die in dieser "Todesanzeige" steckt? Für mich stellt sich die Frage, ob die Qualität eines Liedes oder einer musikalischen Phrase sich daran misst, wieviel ZuhörerInnen sie findet? Natürlich finde ich es toll, wenn meine eigenen Lieder ein großes Publikum finden und von diesem anerkannt werden. Aber solange ich nicht gänzlich davon leben muss und damit existentiell von meiner Kunst abhängig bin, versuche ich mich persönlich von diesen Gedanken zu befreien. Persönlich glaube ich, dass gut gemachte, intelligente Texte, alleine mit einem Instrument begleitet (also ohne großes musikalisches Arrangement), immer Aufmerksamkeit finden werden. Ob dies nur noch in einer kleinen musikalischen Nische mit wenig ZuhörerInnen stattfindet oder vor großen Auditorien vorgeführt wird, mag die Zeit zeigen. Was stört es die Eiche, wenn ein Schwein sich daran kratzt. Ganz verschwinden wird es nie - meine Meinung.
Unangenehmer und vielleicht sogar tragischer ist die Frage natürlich für die LiedermacherInnen, die zu Gänze von ihrer Kunst leben wollen und/oder müssen. Wir alle kennen Leute, die ausweichen und dann halt z.B Kinderprogramme, Kabarett oder Mittelaltergedöhns

machen, um finanziell zu überleben, obwohl ihre richtig guten Lieder irgendwo in der Schublade brachliegen und nur selten zur Aufführung gelangen.
Ich meine auch einen Trend bei schon bekannteren Leuten wie Widmann oder Wartke zu erkennen, die Ihre Ernsthaftigkeit nur zögerlich zeigen aber doch langsam sich mal ernsteren Themen widmen. Ein sehr schönes Beispiel ist für mich das Lied von Bodo Wartke "Ein Denkmal denkt". Widmann hingegen hat es jetzt mit einer Tournee ausprobiert, bei denen er Lieder aufgeführt hat, die ihn weniger als Liederclown, sondern mehr als Liedermacher gezeigt hatten. Leider fehlte mir die Zeit das Konzert zu besuchen. Das Experiment hat mich doch sehr interessiert. Kann hier vielleicht jemand mal berichten, der eines dieser Konzerte besucht hat und über die Zuschauerreaktionen schreiben?
Und ganz zum Schluss sei natürlich noch die Bemerkung gestattet: Die Musikindustrie trägt wie immer ihr Scherflein bei, wenn eine Stilrichtung vernachlässigt wird. Spartenradio, Mainstreamproduktionen und reines Kommerzdenken verhindern auch den Erfolg vieler guten MusikerInnen. Mir ist nicht bekannt, wie sehr du als Radiomensch, hier aus dem Nähkästlein plaudern darfst, aber es ist wohl ein Allgemeinplatz, dass knallharte Geschäftsinteressen massiv die Sendelisten beeinflussen, oder siehst du das anders?
Liebe Grüße
Barde