Aus aktuellem Anlaß buddele ich das Thema auch noch mal aus

Nun hat es doch etwas länger gedauert, bis ich anfing zu lesen. Ich habe mich auf den ersten 50-100 Seiten doch etwas schwerer getan und habe das Buch nicht "verschlungen", was aber nicht am Inhalt lag. An den Schreibstil mußte ich mich irgendwie erst gewöhnen. Jetzt bin ich in der Mitte des Buches und liebe es immer mehr.
Sehr interessant finde ich, daß in der Region, wo Hannes aufwuchs, ein so intensives Plattdeutsch gesprochen wurde. Für mich als Niederrheiner wirkt das wie eine Mischung aus dem Niederrheinischen Platt und dem Norddeutschen, wobei ich mich allenfalls etwas mit dem am Niederrhein gesprochenen Regiolekt auskenne, nicht aber wirklich mit dem Dialekt. Und da stellt sich mir die Frage (weil ich mich auch abseits des Buches für Dialekte und Sprachlinien interessiere), wie es sein kann, daß es angeblich in Hannover keinen Dialekt oder Regiolekt mehr gibt und nur noch hochdeutsche Sprache gesprochen wird. Bielefeld ist zwar noch weit weg von Hannover, aber wesentlich näher dran als der Niederrhein. Und die in relativ starkem Dialekt zitierten Passagen verwundern mich tatsächlich etwas. Aber das soll nur eine Momentaufnahme meiner Wahnehmung und meiner Gedanken beim Durchlesen sein.
Daß das Buch chronologisch aufgebaut ist, finde ich gut. Inzwischen, so scheint mir, hat es sich so ein bißchen eingebürgert, daß viele Lebensläufe oft sprunghaft geschildert werden. Als Paradebeispiel bzw. dort, wo es mir zum ersten Mal so entgegenschlug, war "Der Mann mit dem Fagott" über Udo Jürgens. War damals beim Lesen auch erfrischend, aber die Zeitsprünge zerreißen letztendlich den Handlungsfaden, wenn man bei einer Biographie überhaupt von Handlung sprechen kann. Hier bei "Trotz alledem" gefällt mir die Chronologie und die Vielzahl von Bildern, die an den passenden Stellen eingebaut wurden (und nicht nur zusammenhanglos in der Mitte des Buches irgendwo).
Ich muß nochmal schauen, auch hier im Forum, aber ich kann mich gerade an keinen Hinweis erinnern, daß die erwähnten Namen geändert wurden. Habe ich da etwas überlesen ? Es kommen ja nicht alle erwähnten Protagonisten positiv davon im Buch.
Die Liedtexte, also Hannes' eigene, müßten meines Erachtens nicht unbedingt abgedruckt sein, aber es wird sicherlich viele Leser geben, die die angesprochenen Lieder nicht kennen, und um sie (die Leser) mit ins Boot zu holen, ist es schon in Ordnung. Sehr interessant finde ich die Hintergründe in der Kindheit und Jugend, die Hannes später in seinen Liedern verarbeitet hat. Manche Lieder ließen für mich oft viel Interpretationsspielraum, oder besser gesagt, machten mich neugierig, was die Hintergründe für den ein oder anderen Text waren. Da schließt das Buch für mich tatsächlich einige Lücken.
Erstaunlich finde ich, wie sich Hannes' Leben so entwickelt hat, bzw. wie er selbst seinen Weg gesucht und gefunden hat. Dafür, daß er sich früher nicht vorstellen konnte, wie es an einer Stelle im Buch heißt, irgendwie mal dichterisch bzw. poetisch wirksam zu werden, und das ursprünglich auch gar nicht so sein Bedürfnis war, haben seine Texte wirklich erstaunliche Kraft, Ausdruck und auch Poesie, Letzteres in seinen früheren Liedern vielleicht nicht ganz so sehr ausgeprägt.
Ein Zitat möchte ich auf jeden Fall hier anbringen, weil ich das beschriebene Gefühl im Rahmen meiner Erfahrungen mit der Straßenmusik nur zu gut kenne:
"Die Gitarre zwischen dem Publikum und mir gibt mir ein wenig das Gefühl, mich hinter ihr verstecken zu können".
Ich freue mich auf die zweite Halbzeit des Buches

Georg