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Ausführlicher Konzertbericht aus Ulm

Verfasst: Sa 12. Nov 2005, 12:59
von Petra
Hallo Ninette,
irgendwoher muss ein Künstler natürlich seine Inspirationen nehmen, das ist ja klar. Auch bei anderen Künstlern tauchen Lieder über den Alltag mit Kindern dann auf, wenn sich bei ihnen Nachwuchs eingestellt hat. Ist ja irgendwie nachvollziehbar und bei RM besonders deutlich.
Aller guten Dinge sind drei gefällt vielen deshalb so gut, weil sie diesen alltäglichen Wahnsinn aus eigener Erfahrung kennen. Trotzdem müssen wir Eltern doch zugeben, dass es nicht jeden Tag so zugeht, sondern dass manche Tage dann doch eher zu langweilig wären, um sie zu vertonen. Solche oder ähnliche Erlebnisse hat RM wohl mit seinen Kindern gehabt, aber um ein turbulentes Lied daraus zu machen, muss er das alles verdichten und sicherlich wird auch hie und da mal eine Geschichte mit aufgenommen, von der er nur gehört hat oder die er sich nur vorstellt und dazu passend findet. Aber beispielsweise der Doktor ist ein guter Freund und nimmt uns rasch mal vor könnte stimmen. In einem Interview habe ich mal gehört, dass der Hausarzt ein ehemaliger Klassenkamerad ist.
Ich würde auf keinen Fall davon ausgehen, dass alles 1:1 so stattgefunden hat, aber so ähnlich plus dichterische Freiheit.
Viele Grüße von Petra

Ausführlicher Konzertbericht aus Ulm

Verfasst: Sa 12. Nov 2005, 13:23
von Skywise

Ninette schrieb:
Aber bei RM würden mir einige einfallen, wo ich vermute, daß sie seinen Tageslauf wiedergeben. "Aller guten Dinge sind drei", "Douce Drance", seine Lieder von seinen Kindern oder ähnliches.
Aber ich lasse mich von euch gerne eines anderen belehren.
Genau. Du vermutest.
Ich würde so weit gehen und sagen, daß es bestimmt Ereignisse gegeben hat, die für diese Stücke Pate standen, sprich: als Inspirationsquelle gedient haben. Aber es ist nicht klar, ob wirklich all diese Ereignisse wirklich Reinhard Mey persönlich passiert sind. Könnte doch sein, daß er beim Bäcker gestanden hat und hinter ihm unterhielten sich zwei Kundinnen über ihre Kinder, von denen eines gerade die Gardine zu Boden befördert und das andere sich eine Erbse ins Ohr gesteckt hat, während Reinhard Mey selbst im Laden darüber nachgedacht hat, seinen Kindern einen Computer zu kaufen, weil diese gerade wieder gemeutert haben. Dasselbe gilt auch für "Douce France". Auch, wenn er häufiger in Frankreich war, heißt das noch lange nicht, daß er wirklich (dort) "Pflastersteine fliegen" sah - es könnte auch einfach nur bedeuten, daß er mit jemandem, der einen solchen Stein geworfen oder abgekriegt hat, bekannt war ...
Alle Ereignisse fließen durch das, was ein Freund von mir mal als "künstlerischen Filter" bezeichnet hat. Das Ergebnis dieses Durchlaufprozesses ist ein künstlerisches Produkt, also vielleicht eine Geschichte, ein Bild, ein Lied oder eine Anmoderation. Nur - wie groß der Anteil des Künstlers am Pulver ist, das zu Beginn des Prozesses in den Filter kommt, das weiß man nicht, und es wäre fatal zu glauben, daß wirklich alle Ergebnisse nur auf die persönlichen Erfahrungen oder Meinungen des Künstlers zurückzuführen sind.
Es soll sogar Lieder geben (und da spreche ich aus eigener Erfahrung), bei denen der Texter und Interpret noch nicht mal hinter der Aussage eines Stückes steht, sondern sich - wie Robert Gernhardt es ausgedrückt hat - "fremden Zungen" bedient, um seine Position zu verdeutlichen oder besondere Effekte zu erzielen. Im Gegenzug kann man auch nicht sicher sein, ob der Künstler bei der Arbeit an seinem Produkt nicht vielleicht irgendwas am Filter "gedreht" hat, sprich: ob er nicht vielleicht irgendwelche Dinge geschönt oder verschlimmert hat, um gewisse Aussagen zu unterstreichen oder Ereignisse zu verschweigen oder eine Allgemeingültigkeit in sein Werk zu bekommen.
Du kennst als Konsument nur das Endprodukt, kannst auf gewisse Dinge schließen, aber Du wirst niemals in Reinhard Meys Kopf schauen können, um zu sehen, ob Deine Interpretation mit seiner Absicht übereinstimmt. Ebenso sieht es mit seinen Inspirationsquellen aus - vielleicht war es nur ein harmloser Teilsatz, irgendwo mal in den Straßen von Berlin aufgeschnappt; das kann schon reichen, um ein Lied zu schreiben (frag Otto Reutter :-D ).
Und die Moral von der Geschicht':
Künstlern glaubt man. Oder nicht.
:hammer:
Gruß
Skywise

Ausführlicher Konzertbericht aus Ulm

Verfasst: Sa 12. Nov 2005, 17:58
von Ninette
Hallo Petra und Skywise,
ich bedanke mich für die Antworten. Ich lerne gerne immer wieder etwas dazu. - Wußte ich nämlich noch nicht, was ihr da so geschrieben habt. Man lernt halt nie aus! War sehr aufschlußreich.