Ninette schrieb:
Aber bei RM würden mir einige einfallen, wo ich vermute, daß sie seinen Tageslauf wiedergeben. "Aller guten Dinge sind drei", "Douce Drance", seine Lieder von seinen Kindern oder ähnliches.
Aber ich lasse mich von euch gerne eines anderen belehren.
Genau. Du vermutest.
Ich würde so weit gehen und sagen, daß es bestimmt Ereignisse gegeben hat, die für diese Stücke Pate standen, sprich: als Inspirationsquelle gedient haben. Aber es ist nicht klar, ob wirklich all diese Ereignisse wirklich Reinhard Mey persönlich passiert sind. Könnte doch sein, daß er beim Bäcker gestanden hat und hinter ihm unterhielten sich zwei Kundinnen über ihre Kinder, von denen eines gerade die Gardine zu Boden befördert und das andere sich eine Erbse ins Ohr gesteckt hat, während Reinhard Mey selbst im Laden darüber nachgedacht hat, seinen Kindern einen Computer zu kaufen, weil diese gerade wieder gemeutert haben. Dasselbe gilt auch für "Douce France". Auch, wenn er häufiger in Frankreich war, heißt das noch lange nicht, daß er wirklich (dort) "Pflastersteine fliegen" sah - es könnte auch einfach nur bedeuten, daß er mit jemandem, der einen solchen Stein geworfen oder abgekriegt hat, bekannt war ...
Alle Ereignisse fließen durch das, was ein Freund von mir mal als "künstlerischen Filter" bezeichnet hat. Das Ergebnis dieses Durchlaufprozesses ist ein künstlerisches Produkt, also vielleicht eine Geschichte, ein Bild, ein Lied oder eine Anmoderation. Nur - wie groß der Anteil des Künstlers am Pulver ist, das zu Beginn des Prozesses in den Filter kommt, das weiß man nicht, und es wäre fatal zu glauben, daß wirklich alle Ergebnisse nur auf die persönlichen Erfahrungen oder Meinungen des Künstlers zurückzuführen sind.
Es soll sogar Lieder geben (und da spreche ich aus eigener Erfahrung), bei denen der Texter und Interpret noch nicht mal hinter der Aussage eines Stückes steht, sondern sich - wie Robert Gernhardt es ausgedrückt hat - "fremden Zungen" bedient, um seine Position zu verdeutlichen oder besondere Effekte zu erzielen. Im Gegenzug kann man auch nicht sicher sein, ob der Künstler bei der Arbeit an seinem Produkt nicht vielleicht irgendwas am Filter "gedreht" hat, sprich: ob er nicht vielleicht irgendwelche Dinge geschönt oder verschlimmert hat, um gewisse Aussagen zu unterstreichen oder Ereignisse zu verschweigen oder eine Allgemeingültigkeit in sein Werk zu bekommen.
Du kennst als Konsument nur das Endprodukt, kannst auf gewisse Dinge schließen, aber Du wirst niemals in Reinhard Meys Kopf schauen können, um zu sehen, ob Deine Interpretation mit seiner Absicht übereinstimmt. Ebenso sieht es mit seinen Inspirationsquellen aus - vielleicht war es nur ein harmloser Teilsatz, irgendwo mal in den Straßen von Berlin aufgeschnappt; das kann schon reichen, um ein Lied zu schreiben (frag Otto Reutter

).
Und die Moral von der Geschicht':
Künstlern glaubt man. Oder nicht.

Gruß
Skywise