Festivitäten sind schön. Vor allem, wenn sie sich über eine halbe Stadt erstrecken, angefüllt mit Imbiß- und Fahrbuden, wobei letztere sich häufig lautstarke Duelle mit fast krankhaft gut gelaunten Losverkäufern um die Gunst (sprich: das Geld) der Passanten liefern. Die ohnehin bereits engen Gassen werden mit Konsummöglichkeiten rechts und links strategisch so geschickt besetzt, daß nur noch schmale Streifen von Passagen übrig bleiben, die jedoch in der Regel von einigen Mitmenschen (liebevoll „Panzer“ genannt) regiert werden, die ihren voluminösen Körper - oder wahlweise: ein Einkaufswägelchen, einen Korb oder Hund - bewusst oder unbewusst so geschickt und unbeeindruckt durch die Zwischenräume schieben, daß hinter ihnen ganze Menschenschläge dazu gezwungen sind, sich an dem von ihnen vorgegebenen Tempo zu orientieren. Die Sonne knallt dem Vergnügungswilligen mit gefühlten 59,3°C in Nacken oder Augen, die Luftfeuchtigkeit ist hoch, im Gegensatz zur Windgeschwindigkeit, und liebevolle Mitmenschen scheinen aus unerfindlichen Gründen herausfinden zu wollen, ob, wann und wie man auf Tritte oder Ellenbogenstöße reagiert. Zur Erfrischung werden hier Flüssigkeiten in Gläsern zum Kastenpreis gereicht, und während einer überteuerten Currywurst mit noch ungesonnten Pommes bietet sich dem interessierten Beobachter die Gelegenheit, einen Blick auf die lieben Kleinen zu erhaschen, die beim Anblick von Popcorn, Lebkuchenherzen, Zuckerwatte oder sonstigen Leckereien sofort anfangen, ihre Eltern mit wohlgewählten Worten und vorbildlichem Verhalten (Zitat: „Ich will jetzt ein Eis, ihr Penner!“) dazu zu bringen, das Gewünschte für sie käuflich zu erwerben.
Auf dem Mainzer Johannisfest kommt noch hinzu, daß an einigen Punkten der Stadt Bühnen errichtet wurden, auf denen diverse Künstler mit ihrem Tun die Passanten belustigen bzw. belästigen können. Diese Orte sind klugerweise meist so gewählt, daß die Geräuschkulisse der Fahrbuden nicht allzu stark ins Gewicht fällt und sich bei Bedarf bzw. Interpretentalent das Publikum traubenartig vor einer solchen Bühne einfinden kann, ohne daß der Hauptstrom zum Erliegen kommt. Positiv gedacht. Die kleine Bühne auf dem Mainzer Ballplatz nimmt dabei eine kleine Sonderstellung ein, da hier das Programm abläuft, das traditionsgemäß auf eine etwas geringere Zuschaueranzahl ausgelegt ist – vom Puppenspiel über Zauberkunst bis hin zum Liedermachertum. Womit wir beim Thema wären.
Am 25. Juni um 12:30 Uhr hatten sich neben den zwei Personen auf der Bühne („Acoustic“ Norbert Lange, Liedermacher-Gitarre und Liedermacher-Gesang sowie Bobby Stark-Holland, Liedermacher-Gitarre, Liedermacher-Gesang, Liedermacher-Zigarette, Liedermacher-Raucherhusten und Liedermacher-Luftmundharmonika) auch noch 20 Personen an den Bierflaschen und -tischen nahe des Veranstaltungsorts angefunden sowie eine unbestimmbare Menge weiter hinten an Cafétischen oder den beiden optimistisch aufgestellten Getränkepavillons, von den stöber- und kaufwilligen Besuchern der letzten Ausläufer des traditionellen Buch-Flohmarkts mal abgesehen. Über allem strahlte die Sonne, nur der frische Wind war dieser Veranstaltung fern geblieben.
Daß die beiden Liedermacher sich bei dieser Gelegenheit nicht zum ersten Mal begegnet sind, zeigte vor allem, daß der eine in der Lage war, die Lieder des anderen zu begleiten, sei es durch gesangliche Einlagen oder zusätzliche Gitarrenzupfmuster. Auf den Einsatz einer begleitenden Mundharmonika vonseiten Bobby Stark-Hollands musste an einer Stelle bedauerlicherweise aufgrund eines gekonnten Raucherhusten-Anfalls verzichtet werden, der darüber hinwegtäuschen sollte, daß das erforderliche Instrument noch immer zu Hause lag.
So verschieden die beiden Liedermacher auch sein mögen – Norbert Lange machte einen eher introvertierten Eindruck, während Bobby Stark-Holland sehr offen, fast schon kumpelhaft rüberkam – beide beherrschten ihr Handwerk. Mal nachdenklich, mal gelassen philosophierten beide zu größtenteils eingängigen Melodien über das Leben, die Liebe, Gott und die Welt. Norbert Lange konzentrierte sich dabei hauptsächlich auf aktuelleres Material, sprich: bislang Unveröffentlichtes („Sag bloß nichts“) oder Material seines aktuellen Albums „Tief oben“ („Oase“, „Dein Passagier“, „Vielleicht ist Schweigen nur Silber“), Bobby Stark-Holland hat zwar bereits seit 1996 einige Singles oder Alben in unterschiedlicher Besetzung auf den Markt gebracht, da allerdings derzeit anscheinend keine seiner Veröffentlichungen im Handel erhältlich ist, seien hier nur „Meine eine“, „Das Gebet“, „Wein oder Wasser“ und „Sommerzeit“ als Titel genannt. Was das musikalische und textliche Niveau der Stücke angeht, hatte Norbert Lange leicht die Nase vorn, wenn er in seine Lieder feine doppelte Böden einbaute oder einen interessanten Blick auf scheinbar alltägliche Dinge warf. Bobby Stark-Holland wusste dagegen interpretatorisch voll zu überzeugen und schaffte es sogar, das Publikum trotz Sommerhitze, trockenen Kehlen, kleiner Zuschauerschar etc. an einer Stelle zum Mitsingen zu motivieren. Vor allem der aus Aschaffenburg angereiste inoffizielle Bobby Stark-Holland-Fanclub (von der Bühne aus gesehen links) sorgte nach seinen Stücken für ausgelassene Stimmung, wobei es natürlich sein kann, daß die Sonne die Atmosphäre noch zusätzlich aufgeheizt hat …
Nachdem man nach einer Stunde auf der Bühne das mitgebrachte Handtuch allerdings auswringen konnte und sich herausstellte, daß die meisten Gitarren, die man sich vor die Brust hält, nicht atmungsaktiv geschnitzt sind, wurde das Konzert nach einer Stunde und einer eingeforderten Zugabe beendet. Norbert Lange öffnete daraufhin vorübergehend seinen Bauchladen und verkaufte seine aktuelle CD; Bobby Stark-Holland hatte trotz Aufforderung in seinem Gästebuch keine Tonträger im Gepäck, allerdings scheint derzeit auch ein neues Album kurz vor der Vollendung zu stehen, nach dem zu deuten, was zwischen einzelnen Zuschauerinnen und Interpret gesagt wurde. In jedem Fall lohnt es sich, die Homepages beider Künstler einmal im Auge zu behalten.
Also – ein sehr kurzweiliger Frühnachmittag mit angenehmer Musik bei unangenehmer Sonne zwischen 12:30 und 13:45 Uhr auf der Mainzer Johannisnacht. Die Feier wird heute Abend mit einem Feuerwerk beendet werden. Festivitäten sind schön.
Gruß
Skywise
www.acoustic-norbert.de
www.bobbystarkholland.de
P. S.: Falls sich noch jemand für den ebenfalls angekündigten Auftritt von Jay Schreiber interessiert – von meiner Seite aus kommt da nix, da Jay Schreiber mit einer Begleitband („Die Liebe“) anrückte, die musikalisch im Mainz-Dream- … ne … Mainstream-Pop-und-Rock-Bereich angesiedelt ist und trotz ihres Namens viele englischsprachige Titel zum Besten gab, die allerdings entweder gecovert waren (Bob Dylan etc.) oder textlich und musikalisch trotz interpretatorischen Potentials nicht allzu viel hergaben. Wer da einen "Liedermacher" angekündigt hat, weiß ich nicht ... verbuchen wir’s mal unter „Kommunikationsproblem“.