An dieser Stelle möchte ich aus dem Buch "Liedermacher" von Hartmut Huff zitieren, das 1980 (!) im Heyne-Verlag erschien (S. 73f):
Reinhard Mey, einer der Liedermacher der ersten Stunde, gebührt besondere Aufmerksamkeit. Durch die Jahre hat er sein Image als öffentlich privatisierender Chansonnier, dem engagierte Lieder aus Passion ein Greuel sind, gepflegt. Und dem ist er, sieht man von wenige Ausnahmen ab, da er z. B. in gütig verhaltnem Spott Politiker auf den Arm nimmt ("Was kann schöner sein auf Erden, als Politiker zu werden") oder den Protest karikiert ("Die Ballade vom sozialen Aufstieg des Fleischermeisters Fred Kasulzke") treu geblieben. Und treu ist er auch den drei Melodien geblieben, mit denen es ihm gelang, 21 Langspielplatten von je 40 Minuten Spieldauer zu füllen.
Ahnungsvoll mutmaßte im Pressedienst seiner Plattenfirma ein Freund: "Wenn ein bekannter Sänger eine neue Langspielplatte besingt, gibt es zwei beliebte Reaktionen. Die einen sagen: 'Ach, es ist immer dasselbe' und sind sauer. Und die anderen meinen: 'Ach, es ist einfach nicht mehr dasselbe' und sind sauer. Ich wünsche Ihnen beim Anhören von "Menschenjunges" eine dritte Reaktion. - Es bleibt bei der ersten.
Allerdings: auf seiner neuesten Platte "Jahreszeiten" ist Reinhard Mey textlich überzeugend. Neben dem "Alleinflug" besticht sein "Unterwegs". Mey vermittelt glaubhaft, wie arm er dann dran ist. Wohl eine Folge des ersten Songs der B-Seite "Wir sind alle lauter arme, kleine Würstchen".
Man stelle sich vor:
Unterwegs irgendwo zwischen Zürich und zu Haus,
Bratwurst, Cola, Ketchup, Koffer rein und Koffer raus,
Jede Bühne zwischen Klagenfurt und Norderney
Wie auf 'ner Galeere, aber glücklich und frei dabei.
So ein Chanson-Superstar-Dasein ist halt doch recht anstrengend, zumal, wenn's abends im Hotel so aussieht:
Im Hotel altert indessen
ein liebloses Abendessen
Klaus macht noch, wenn blond und weiblich, die Bedienung an;
Peter ist in Schlaf gesunken,
und ich endlich so betrunken,
Daß ich auch dies lausige Hotel ertragen kann.
Vielleicht kann er's ja bald. Die Direktoren der betreffenden Etablissements hören diese Klage gewiß auch mal. Aber ist Meys Publikum wirklich so naiv, ihm die "Unterwegs-Geschichte" als erlebt und erlitten abzukaufen?
Wenn ich mir die Amazon-Kritiken durchlese und sie mit den Huff'schen Äußerungen vergleiche, erkenne ich erstaunlich viele Deckungsgleichheiten. Die "offiziellen" Vorwürfe an RM sind also keinesfalls neu.
Ich habe "Nanga Parbat" nur ein einziges Mal gehört und bin zu dem Schluß gekommen, daß es wohl eher ein Album ist, das ich mir im Herbst oder vielleicht sogar im Winter noch einmal anhören muß ... für Frühling oder Sommer ist das Album irgendwie nix ... Es entsteht irgendwie kein richtiges Gefühl, wenn da jemand von dem Frost und dem grausamen Eis auf dem Gipfel des Nanga Parbat singt und ich gleichzeitig in Schweißbächen davonfließe

. Aber auch viele der anderen Sachen auf dem Album schreien für mich eher nach einem gemütlichen lauwarmen Abend auf der Couch mit einem Gläschen Was-Rotes und ausreichend gedämpftem Licht. Der Vergleich mit der "Flaschenpost" kam mir auch schon in den Sinn, wobei dieses Album allerdings nicht zu meinen Lieblingsalben zählt. Nach dem ersten Hören würde ich "Nanga Parbat" aber auf jeden Fall zu den gelungeneren Alben rechnen ... zumindest bin ich neugierig auf das zweite Hören; das war bei "Rüm Hart" definitiv anders.
Die einzige Sache, die mich jedoch unglaublich gestört hat beim Hören, war das Arrangement von "Nanga Parbat" ... da hätte Reinhard Mey schon mal die Chance gehabt, ein richtig bombastisches Opus aufzuziehen, und Manni Leuchter macht daraus ein Keyboard-Allerlei ... das hätte richtig schön arrangiert mit einem echten Orchester ein echter Leckerbissen werden können. Aber es sollte wohl leider nicht sein ... Schade.
Gruß
Skywise