Reinhard Mey hat diese Geschichte nicht erfunden und sein Lied ist nicht die dramatische Darstellung einer "Legende, um die Deutschen schlecht aussehen zu lassen" (ja, das habe ich tatsächlich genau so schon einmal von jemandem mit meinen eigenen Ohren gehört!), sondern hier hat er sich klar und nüchtern mit den Tatsachen beschäftigt, wie sie z.B. in der Wikipedia verzeichnet sind. Meiner Meinung nach gehört dieses Lied zu den wichtigsten Werken von Reinhard Mey - und es wird noch in vielen Jahren und Jahrzehnten immer dann gesungen werden, wenn es wieder Menschen gibt, die mit "Es muss doch auch mal Schluss sein"-Phrasen ankommen!
Vor ein paar Jahren gab es auf Deutschlandfunk Nova einen Beitrag im Rahmen von Eine Stunde History, in dem die Autoren den "Schlächter von Lyon" Klaus Barbie zum Thema machten. Das war der Leiter der Gestapo im Süden Frankreichs und er befahl die Deportation und den Mord dieser 44 Kinder von Izieu. Die Geschichte seiner Flucht nach Bolivien, seiner Auslieferung nach Frankreich und seiner Verurteilung zu lebenslanger Haft wird in diesem Radiobeitrag gründlich ausgeführt. Ein Satz aus der Sendung blieb mir in Erinnerung:
Wenn ich mir dieses Lied anhöre habe ich IMMER einen Kloß im Hals und ich werde es machen, wie Reinhard Mey es in der letzten Strophe singt:Dieser Mann (also Barbie) war tatsächlich ein Albtraum für alle, die nicht mit den Nazis kollabirierten...
Und es muß doch auch mal Schluß sein, endlich, nach all den Jahr’n.
Ich rede und ich singe und wenn’s sein muß, werd‘ ich schreien,
Damit unsere Kinder erfahr’n, wer sie war’n...
Vor ein paar Monaten hatte ich ein Erlebnis, welches mich noch lange begleiten wird und von dem ich in diesem Zusammenhang noch berichten möche:
Während meines Einsatzes in der ambulanten Pflege im Rahmen meiner Ausbildung führte ich im Oktober ein Gespräch mit einem älteren Patienten (Jahrgang 1926!), der als junger Mann in der deutschen Wehrmacht im Einsatz war und den seine Erlebnisse bis heute begleiten. Ich bin dankbar, ihm begegnet zu sein, weil er offen mit mir über seine persönlichen Erlebnisse sprach und nichts beschönigte oder verharmloste, was er damals erlebte. Er äußerte sich immer wieder in der Art, dass wir, die wir heute in Deutschland leben, so eine Entwicklung nie wieder zulassen dürfen. Wir kamen auf einen Beitrag in der Tagesschau zu sprechen, in dem es um dem vom Prozess gegen eine 96-jährige Frau ging, der die Staatsanwaltschaft vorwirft, Beihilfe zu mehr als 11.000 Morden geleistet zu haben...
Es ist nicht leicht, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen, aber es ist wichtig, dennoch darüber nachzudenken "Wäre ich auch mitgeschwommen?" und für sich vielleicht auch eine Antwort zu formulieren...Warum sind heute diese Verfahren und Urteile möglich?
Eine Art Wende brachte erst das Urteil gegen John Demjanjuk aus dem Jahr 2011. Das Landgericht München entschied: Allein die Anwesenheit des Lageraufsehers Demjanjuk im Vernichtungslager Sobibor und seine Kenntnis von den Morden reichen aus, um ihn wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen...
Wie hat der BGH den wichtigen Gröning-Beschluss begründet?
Die zentrale Aussage lautet: Auch die "kleineren Rädchen" haben eine zentrale Rolle beim Völkermord an den Juden gespielt. Für die Nazis sei ein "organisierter Tötungsapparat" mit eingespielten Abläufen Voraussetzung gewesen, um in kürzester Zeit Tausende Morde zu begehen. Wörtlich heißt es im BGH-Beschluss: "Nur weil ihnen eine derart strukturierte und organisierte 'industrielle Tötungsmaschine' mit willigen und gehorsamen Untergebenen zur Verfügung stand, waren die nationalsozialistischen Machthaber in der Lage, die 'Ungarn-Aktion' anzuordnen."