Hallo miteinander,
ein spannendes Thema, das viele Aspekte berührt, finde ich!
Zu Carsten Langners Motivation sei hier zunächst
eine Bemerkung von seiner Webseite zitiert:
Carsten Langner Zitat:"Ich kenne dieses Gedicht seit meiner Kindheit und es berührt mich heute noch wie damals. Meine Großeltern und viele Nachbarn haben noch selbstverständlich Platt gesprochen, mittlerweile ist es fast gänzlich aus dem schleswig-holsteinischen Alltag verschwunden. Das bedauere ich sehr, denn mit der Sprache geht ein Stück Kultur verloren. Deshalb habe ich mir vorgenommen, neben meinen eigenen Liedern künftig immer mal wieder auch plattdeutsche Werke zu vertonen. Aufgrund der sehr bildreichen und klangvollen Sprache eignen sich viele von ihnen hervorragend zum Singen. Den Anfang mache ich also mit diesem Groth-Klassiker, für mich vielleicht das berührendste plattdeutsche Gedicht überhaupt."
Das gibt ja vielleicht ein wenig mehr Aufschluss über die Art des Projekts und Beweggründe vom Sänger direkt.
Zum Wert von Neuvertonungen:
YouTube schlug mir diese Neuversion schon vor einiger Zeit vor, aber ich hörte sie mir zunächst gar nicht erst an, da ich von Anfang an eigentlich die gleichen Gedanken wie Marc direkt als Vor-Urteil hatte: Es gibt schon viele verschiedene schöne Versionen von diesem Klassiker - was wäre da neues 'herauszukitzeln'?
Unterm Strich sehe ich es vielleicht nicht ganz so kritisch wie Marc. Das mit anderen Versionen vertraute Publikum kann nichts verlieren, bestenfalls die neue Version auch mögen, schlimmstenfalls auf die alten vertrauen. Und das Idealszenario wäre das Erreichen eines neuen Publikums. (Erinnert mich ein wenig an die Diskussion zu Bella Ciao, hehe.) Das ist wohl ähnlich wie mit Neuauflagen von alten Filmen (wo viele immer rumjammern): Die alten werden dadurch ja nicht gelöscht.
Zur Wahl des Textes und Vergleichen-Dürfen:
Allerdings, das muss man auch sagen, legt man sich - ebenfalls wie die Autoren und Regisseure von Film-Remakes - mit der Stoff-Auswahl eine hohe Messlatte und muss sich dem Feedback stellen. Ich finde es völlig legitim, da zu vergleichen, das liegt doch in der Natur des Stoffes. Ein noch nie populär vertontes Klaus-Groth-Gedicht hätte sich nicht an anderen messen müssen. Insofern wirkt die grundlegende Entscheidung - positiv ausgedrückt - sehr selbstbewusst von Carsten Langner.
Zum Kritisieren-Dürfen und Selbstbewusstsein:
Da Carsten Langner zumindest früher als 'clabauter' auch als Mitglied im Forum aktiv war, aber ich ihn persönlich nicht so richtig kennen gelernt habe, würde ich hier auf der Plattform normalerweise nach dem Motto gehen: Wenn man nichts Gutes zu sagen hat, sagt man besser gar nichts.
Aber in Anbetracht des erwähnten Selbstbewusstseins und seiner sehr professionellen Darstellung auf allen Kanälen, finde ich es nur fair, sein künstlerisches Output genauso kritisieren zu dürfen wie das der 'Großen'. Wenn mir Reinhard Mey mit einer Neuvertonung von 'Der Mond ist aufgegangen' ankommen würde, wäre ich schließlich genauso kritisch (wenn nicht mehr).
Zum Gedicht 'Der kleine Sänger':
Vor diesem Hintergrund habe ich übrigens auch das von Marc zitierte Gedicht verstanden. Den "kleinen Sänger" mit "neuer Gitarre" habe ich eben auf den Nachwuchskünstler mit neuer Version gedeutet, beim "keinen Schluck Trinken" an das Nicht-Erreichen der Messlatte und beim "von sich selbst Betrunkensein" an das dennoch hohe Selbstbewusstsein - alles in künstlerischer Sicht. Aber ich will damit nicht für Marc sprechen, ist nur meine Deutung.
Meine Meinung zur 'Min Jehann'-Neuvertonung:
Also, Carsten Langners Version gibt mir nichts; sie stößt mich auch nicht ab oder so, sie lässt mich einfach kalt. Der Song besteht theoretisch aus lauter Elementen, die mir gefallen müssten, aber tut es doch nicht. Schön gespielte Gitarre, angenehme Melodie, kristallklare Produktion. Und doch berührt es mich alles nicht; alle die positiven Elemente wirken auf mich irgendwie wie ein Abklatsch (und das liegt nicht am Verwenden eines Groth-Textes, glaube ich). Ist nicht so fies gemeint, wie es klingt, ich kann es ja auch nicht besser (...aber würde mich deshalb auch nicht daran versuchen.)
Zu Stimme, Perspektive und Authentizität:
Michael hat angesprochen, dass ihm die "Stimme eines alten Mannes" fehlt. Theoretisch stimme ich in dieser Frage eher Carschti zu; das Beispiel mit der Frauenperspektive ist sehr erhellend. Und dass ein Ich nicht mit dem Vortragenden, nicht einmal dem Verfasser, übereinstimmen muss, wissen wir alle. Wenn man die 'Moorsoldaten' singt, kann man ja auch nicht wie ein KZ-Häftlings-Chor klingen.
Dennoch habe ich das Gefühl, dass es irgendeinen ungreifbaren Authentizitäts-Faktor gibt, der bei Carsten Langners Version für mich zu fehlen scheint. Wahrscheinlich gibt es jenseits der buchstäblichen "Stimme", für die man nichts kann, noch eine interpretatorische "Stimme", die hier nicht passt.
Vielleicht gibt es auch Texte, bei denen es sich mehr anbietet, die fremde Perspektive einzunehmen, als bei anderen, sodass man eben doch diese Authentizität rüberbringen kann (wie Carschti wahrscheinlich mit dem Thalheim-Text), oder eben nicht. Damit wären wir schon wieder bei der Stoff-Auswahl. Ich erinnere mich an eine Cover-Version von Reinhard Meys 'Homestory' in Carsten Langners YouTube-Kanal vor vielen Jahren und dachte mir damals auch: Welch ungewöhnliche Wahl! Er ist ja nun mal (oder war zu dem Zeitpunkt) kein berühmter Sänger, bei dem ein Journalistenteam zuhause vorbeikommen würde. Klar, man kann die Perspektive einnehmen, aber ist das wirklich bereichernd?
Wie gesagt, ich finde, hier werden viele interessante Fässer aufgemacht. Und schließe diesem Beitrag an:
Carsten K Zitat: ↑Mo 17. Sep 2018, 22:08Ich freue mich übrigens auch, dass es in diesem Forum endlich auch mal wieder um solche Themen geht!
Viele Grüße
Viktor
PS: Wie findet ihr die Aussprache vom Platt? Für mich auch ein bisschen befremdlich, aber es gibt auch starke regionale Unterschiede; ich komme persönlich aus einer Oldenburger Land geprägten Gegend, die noch einmal ein bisschen seltsam sein mag.
...