25 Jahre Mauerfall! Wie habt ihr es erlebt?

*DER SINN DER POLITIK IST FREIHEIT
Das Leben ist immer ein Leben mit anderen. Der Mensch ist ein „zoon politikon“, ein „staatsentwickelndes Tier“, wie Aristoteles formulierte. Er bedarf zu seiner Vervollkommnung der Gemeinschaft mit anderen Menschen. Die Frage ist nicht, wie uns heute im Zeitalter des begrenzungslosen Individualismus (und Egoismus) eingehämmert wird: Wie soll ich leben? Sondern: Wie sollen wir leben? - und darüber kann in diesem Forum diskutiert werden!

*Quelle: Webseite Akademischer Verein Kyffhäuser e.V.  | Foto © by Pixabay.com 
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25 Jahre Mauerfall! Wie habt ihr es erlebt?

Beitrag von fille »

Hallo liebe Liederfreunde!
25 Jahre Mauerfall! Meine Heimatzeitung hat Leute befragt, wie sie die Zeit erlebt haben. Ich dachte mir, wir sind ja ein bunt zusammen gewürfelter Haufen :-). Wir kommen von überall aus der bunten Republik und den Nachbarländern. Es wäre interessant zu erfahren, wie es mancher erlebt hat. Vielleicht hat jemand Lust mitzumachen.
Ich fange mit mir an. Ich fand es großartig, in dieser Zeit der Veränderungen zu leben, auch wenn es mich nicht direkt betroffen hat. Es war die Zeit großer Veränderungen ohne Gewalt. Ich kann mich aber auch an Leute erinnern, die schon länger aus dem Osten geflüchtet waren und die meinten: "Die Mauer? Die soll mal schön geschlossen bleiben!". Ich fand es gut, dass sie nicht geschlossen blieb und wir sind in den 90-er Jahren sehr oft nach Thüringen und Sachsen gefahren.
Von dem großen Ansturm der "Ossis" habe ich mit einem kleinen Kind auf dem Land nicht viel mitbekommen. Ich habe sogar mal gesagt: "Wenn ich nicht bald einen Trabbi sehe, glaube ich das alles nicht." :-)
Allerdings als ich zum erstenmal auf sächsisch eine Ansage in unserer S-Bahn gehört habe, war es schon (wie soll ich sagen) einer kleiner Schock :-) Aber inzwischen weiß ich: Sächsisch ist ein schöner Dialekt, wenn man ihn versteht.
Liebe Grüße, Marianne
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Gesch
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25 Jahre Mauerfall! Wie habt ihr es erlebt?

Beitrag von Gesch »

Hallo zusammen,
ich hatte am Maueröffnungsabend als Parlamentskorrespondent des WDR-Hörfunks Bereitschaftsdienst. Man erinnere sich: Das war noch die Vor-Handy-Zeit, als man Bereitschaftsverpflichtete noch per "Europieps" alarmiert hatte.
Ich hatte daheim in Köln die Abendnachrichten gesehen und aktuell mitbekommen, was Schabowski da Überraschendes der Presse mitteilte und mich umgehend auf den Weg ins WDR-Studio nach Bonn gemacht. Da Bundestagssitzung war, gab es dort auch immer noch Techniker im Dienst, die alles aufzuzeichnen hatten, was im Parlament so ablief. Als ich von den aktuellen Redakteuren in Köln alarmiert wurde, war ich bereits in Bonn und habe dort dann für die Sendung "Berichte von heute" kurz vor Mitternacht einen kleinen Hörfunkbeitrag mit dem O-Ton des Parlamentarier-Gesangs beisteuern dürfen, in dem es um die Reaktion des Parlaments auf den historischen Vorgang ging: Eben das Anstimmen der Nationalhymne. Das war nataürlich nur ein kleines Mosaiksteinchen in der Fülle der Beiträge, die an diesem Abend alle Vorgänge wiedergaben.
Wir hatten zu der Zeit bereits seit einigen Wochen einen Unterbringungsgast aus der DDR bei uns in der Familie, den wir knapp 15 Jahre zuvor in Leipzig kennengelernt hatte, und der im Sommer 89 eine genehmigte Besuchsreise in den Westen genutzt hatte, um im Westen zu bleiben. Seine Familie kam dann nach der Maueröffnung nach. Sie lebt noch heute in Köln.
Jahre später hab ich dann beim neugierigen Recherchieren in der Gauck-Behörde festgestellt, dass es über mich Aktennotizen mit Gesprächswiedergaben gab, verfasst und abgeheftet nach Besuchen in der DDR bei den dortigen Freunden, die wir in den späten 80er Jahren unternommen hatten...
Das war ein sehr befremdliches Gefühl...
herzlich
Gerd
Damit was geschieht, muss zunächst was passiern.
Muss man, eh sich was ändert, denn erst was verliern?
Eh man sich erholt, bleibt keine Zeit auszuruhn,
denn eh sich was tut, muss man selber was tun.


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Anne1986
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Beitrag von Anne1986 »

Hallo,
also, an den Tag selbst habe ich leider keine Erinnerung, ich war 3 Jahre alt. :-) Im Grunde habe ich die Mauer und ein geteiltes Deutschland also nicht bewusst miterlebt, wenn ich mir heute aber Dokumentationen anschaue, Menschen berichten höre oder darüber lese, dann bin ich sehr dankbar für das, was geschehen ist, und vor allem dafür, dass es so friedlich geschehen ist (auch wenn das so manches Schicksal aus den Jahren davor sicherlich nicht mildert!). Die Menschen, die damals beharrlich an den Grenzübergängen standen, sind in meinen Augen Helden, die man sich zum Vorbild nehmen kann.
Wäre zu schön, wenn bei den Gedenkfeiern auch die Freude und Euphorie von damals wieder aufflammen und sich dann halten würde (siehe auch "Prost Deutschland!" von Konstantin Wecker)!
Viele liebe Grüße,
Anne (die sich nicht vorstellen möchte, wieviele liebe Menschen sie nicht kennen würde, wäre die Mauer stehengeblieben!)

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Nicky
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25 Jahre Mauerfall! Wie habt ihr es erlebt?

Beitrag von Nicky »

Als nicht politisch interessierter Teenager im Alter von damals 13 Jahren hatte ich die ganze Vorgeschichte der Maueröffnung, also die Demos und auch die Situation in der Prager Botschaft damals gar nicht mitbekommen. Die DDR war für mich nur ein fremder Teil von Deutschland, in dem ich gemeinsam mit meiner Oma hin und wieder Kaffee und Schokoladenpakete für entfernte Bekannte geschickt hatte. In meiner Schulklasse gab es ein „Flüchtlingsmädchen“, dass über die Fluchtumstände und ihr Leben in der DDR aber nie reden wollte. Mehr Berührungspunkte gab es für mich vorher nicht. Aber ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich am Abend des Mauerfalls mit einer Freundin vor meinem Schwarz/weiss Fernseher in meinem Kinderzimmer saß und uns ein Glücksschauer nach dem nächsten erwischte. An dem Abend durften wir länger aufbleiben und den ganzen Abend über sahen wir die Bilder, wie sich völlig fremde Menschen damals in die Arme fielen. Diese Bilder bleiben wohl für immer mit diesen wohligen Schauer verbunden. Kaum zu glauben, dass das Ganze schon ein viertel Jahrhundert her sein soll…….
...sag nichts, ich seh's dir an, Kinder erkennen sich am Gang...

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Helmut
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25 Jahre Mauerfall! Wie habt ihr es erlebt?

Beitrag von Helmut »

Ich war ein paar Mal in Berlin und jedes Mal erlebte ich die Angst der DDR-Bürger, die sich auf mich übertrug: während der Grenzkontrolle, als wir im Bus Schach spielten, als wir fragten, was es mit dem riesigen Haufen toter Hasen auf sich habe, als wir auf dem falschen Rastplatz hielten, als wir um Westgeld gefragt wurden.
Folglich hat es mich hat es dann erstaunt und beglückt, als ich die Masse der Leute im Fernsehen sah, die von Angst und Wut befreit mit Meißel und Pickel auf die Mauer kletterten. Jetzt verstehe ich, warum man all das, was im Osten besser lief als im Westen, so unwidersprochen aufgab, nur um das Unrechtsregime los zu werden.
Und so wurde der 9. November zu einem zwiespältigen Datum: Freude über den Mauerfall, aber auch Gedenken an die Reichspogromnacht.
"Ich bin ein Gegner der Religion. Sie lehrt uns, damit zufrieden zu sein, dass wir die Welt nicht verstehen." Richard Dawkins

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Eurydike
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25 Jahre Mauerfall! Wie habt ihr es erlebt?

Beitrag von Eurydike »

Ich habe überlegt, ob ich mit meinen Erinnerungen etwas aushole, oder die Kurzfassung abliefere. Ich habe mich für die längere Variante entschieden, denn für mich gehört das alles zusammen.
Für mich begann alles an dem Tag, als mein älterer Bruder nach einem Kinobesuch an einem Montag nicht nach Hause kam. Er blieb die ganze Nacht weg und alle machten sich große Sorgen. Am Dienstagnachmittag war er plötzlich wieder da und erzählte, was ihm widerfahren war.
Er kam gerade an der Nikolaikirche vorbei, als plötzlich ein paar Leute Transparente entrollten und Sprechchöre zu hören waren. Neugierig geworden, blieb er stehen. Es verschlug ihm wahrlich den Atem. Einer solchen Aktion zuzusehen war praktisch unvorstellbar. Demos waren nur erlaubt (bzw. wurden angeordnet) wenn „deutliche Bekenntnisse zu Sozialismus und Staat“ ausgedrückt wurden. Was er da sah, war etwas völlig anderes.
Aber ehe er sich noch über das Geschehen klar wurde, wurde er plötzlich gepackt und mit etlichen anderen Leuten zusammen verhaftet.
Er erzählte von der Nacht, die sie im Stehen mit gespreizten Beinen und den Händen an der Wand verbringen mussten. Aber am Dienstag wurde er plötzlich wieder freigelassen.
Danach ging es Schlag auf Schlag. Die Demos wurden größer und größer. Natürlich war da auch immer die Angst, aber das Wissen, dass so viele Leute den gleichen Mut aufbringen, das trug unglaublich.
Und dann kam der 9. November 1989!
Seit Anfang September war ich auf Meisterlehrgang. Dieser hatte noch mit ML (Marxismus-Leninismus) und der typischen sozialistischen Ausrichtung begonnen. Aber schon nach kurzer Zeit wurde der Unterricht von den Ereignissen der Zeit eingeholt. Anfänglich wurde noch
versucht, uns vom "konterrevolutionieren" abzuhalten und uns von der "Fernsteuerung" der Demos aus dem kapitalistischen Ausland zu überzeugen. Unser ML-Lehrer (dieser hieß sinnigerweise Heil!) hat solcherart Agitation bis zum Schluss probiert.
Aber die Ereignisse überschlugen sich und im November war der lehrplanmäßige Unterricht schon länger den Diskussionen über Tagespolitik gewichen. So auch an diesem Tag.
Wir hatten eine Dozentin, welche ihre Sympathien für die Demonstranten von Anfang an recht deutlich zum Ausdruck brachte und diese Frau erzählte uns, dass sie aus sicherer Quelle wisse, dass für den nächsten Montag (13.) der Schießbefehl ausgegeben würde. Dann wurde diskutiert,
wie man das publik machen und eine Katastrophe verhindern könne.
Also bin ich nach dem Lehrgang nicht nach Hause, sondern zu meinen Eltern gefahren. Ich erzählte ihnen vom kommenden Montag und der drohenden Gefahr. In dieser Zeit lief IMMER der Fernseher, man wechselte zwischen sämtlichen Kanälen und hörte zu.
Selbstverständlich war auch an diesem Abend der Fernseher an. Allerdings nahmen wir aufgrund unserer Diskussion wegen des kommenden Montags alles nur peripher wahr. Und dann sagte Schabowski diese historischen Worte. Ich habe das Ganze zwar registriert, aber nicht verarbeitet.
Später brachten meine Eltern mich nach Hause und auch auf der Fahrt überlegten wir die ganze Zeit, wie man am Montag verhindern könne, das geschossen werde.
Mein damaliger Mann schlief schon, also weckte ich ihn und erzählte, was ich wusste. Er hörte mir komischerweise gar nicht richtig zu, er fragte immer nur, ob ich wisse, dass die Mauer auf sei. Ich erwiderte irgendwas in der Richtung wie „Ja, habe ich gehört, ABER AM MONTAG ...“.
Wir redeten völlig aneinander vorbei. Keiner konnte verstehen, warum der andere nicht kapierte, was man sagte.
Die halbe Nacht lag ich wach und zermarterte mir das Hirn wegen des drohenden Schießbefehls.
Irgendwann schlief ich ein.
Am nächsten Morgen war mein erster Gedanke: Scheiße! Die wollen schießen! Was kann man tun?
Und dann dämmerte mir, dass da gestern doch noch was ganz anderes war. Was hatte Schabowski gesagt? Was bedeutete diese Aussage? Was – verdammt noch mal – hatte Andreas mir letzte Nacht zu sagen versucht …?
Ich sprang aus dem Bett, stürzte zum Fernseher und da waren die Bilder der vergangenen Nacht. Meine damals 1 und 3 Jahre alten Söhne haben an diesem Tag nicht viel von mir gehabt. Ich habe den ganzen Tag vorm Fernseher gesessen und geheult.
Es hat noch eine ganze Weile gedauert, bis man wirklich glauben konnte, dass die die Grenze nicht einfach wieder dicht machen und dieser Abend nur als Überdruckventil gedacht war. Aber zum Glück kam alles anders als befürchtet. Mir geht es wie Anne, es gibt viele, mir sehr wichtige Menschen, die ich ohne den Mauerfall nie kennengelernt hätte. Ich bin dankbar!
Und noch ein ganz kleiner Nachtrag: Auch mein Enkelbaby würde ohne den Mauerfall heute nicht existieren, sind doch Katharinas Eltern nach der Wende aus Hessen nach Leipzig gezogen. :-D

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fille hat dieses Thema gestartet
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25 Jahre Mauerfall! Wie habt ihr es erlebt?

Beitrag von fille »

Danke Heike,
für den interessanten Bericht. Man kann richtig die Aufregung dieser Zeit spüren.
Und noch ein ganz kleiner Nachtrag: Auch mein Enkelbaby würde ohne den Mauerfall heute nicht existieren, sind doch Katharinas Eltern nach der Wende aus Hessen nach Leipzig gezogen.

Ja, Hessen scheint dein Schicksal zu sein! :-D
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Carsten K
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25 Jahre Mauerfall! Wie habt ihr es erlebt?

Beitrag von Carsten K »

@ Eurydike
Danke für Deinen Beitrag, der viel aufschlussreicher als das ist, was wir meisten "Wessis" zum Thema beitragen können! :hutzieh:
Ich selbst hatte an dem 9.11.1989 Mitarbeiterkreis meiner Jugendgruppe. Eine Mitarbeiterin kam etwas zu spät, hatte aber im Autoradio Nachrichtichen gehört. "Macht mal den Fernseher an!", sagte sie, und es kam auf allen Kanälen diese Pressekonferenz mit Schabowski. Wir hatten keinen Sekt, um anzustoßen, waren uns in dem Moment auch noch nicht sicher, dass die Grenze in wenigen Stunden tatsächlich geöffnet sein würde, fuhren aber guter Dinge jeweils nach Hause, um die weitere Entwicklung jeweils im Fernsehen zu verfolgen. Uns allen war klar, dass dieser Abend ein ganz besonderer war, aber wir alle haben ihn nur aus der Distanz erlebt...
"Wenn man als junger Mensch aussah wie ein Hippie und sich einigermaßen treu geblieben ist, sieht man als alter Sack halt aus wie ein Penner und nicht wie Joschka Fischer."
Harry Rowohlt (1945-2015)

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amori
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25 Jahre Mauerfall! Wie habt ihr es erlebt?

Beitrag von amori »

Ihr Lieben,
ich habe auch meine Erinnerungen.
Am Abend des 7.11. stürzte ich mich nach einem guten Essen eine Restauranttreppe hinunter. Da mein rechter Knöchel melonenartige Ausmaße annahm, ging es am nächsten Morgen in die Ambulanz.
Ergebnis: Doppelter Bänderriss mit Knochenabsplitterungen, OP und zentnerschwerer Liegegips. Da ich mit dem Teil keinen Mitschläfer im Doppelbett ertragen konnte, campierte ich am 9.11. im Wohnzimmer auf einer Matratze vor dem Fernseher.
So habe ich die Maueröffnung rund um die Uhr und auf allen Kanälen verfolgen können. Schlafen ging eh nicht.
Mein damaliger Mann fand mich am nächsten Morgen mit total verheulten Augen vor und dachte, ich hätte Schmerzen. Natürlich habe ich vor Freude geweint und mir kullern heute noch die Tränen, wenn ich die Bilder sehe.
Und ja, Bardessa-
Auch mein Enkelbaby würde ohne den Mauerfall heute nicht existieren,

-auch mein Katharina-Enkelbaby würde es nicht geben. Meine Wessi-Tochter wanderte ja auch aus in den schönen Spreewald.
In den Köpfen der Wossi-Eltern ist die Mauer kein Thema. Mein Schwiegersohn war beim Mauerfall erst acht Jahre alt. Frage ich ihn heute nach der Zeit damals, sagt er nur verblüfft:
"Det wees ick nich".
So muss das! ;-)
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StephanH
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25 Jahre Mauerfall! Wie habt ihr es erlebt?

Beitrag von StephanH »

9.November 89??
naja.
Angefangen hatte alles früher. Mit Freunden war ich oft zu Friedensdemos in Ostkreuz in der Kirche. Sogenannte Bluesmessen. Viele Musiker waren oft da. Texte wurden verlesen, Musik gemacht usw. Als wir rauskamen stand überall die Stasi um die Kirche. Keiner traute sich das Gelände zu verlassen. Meistens rannten wir weg. Eine Nacht musste ich mal einem Stasioffizier gegenübersitzen. Angeleuchte, Ausgequetscht wurde man....
Die Situationen wurden immer brenzliger. Auf einmal auch Konzerte von Bob Dylan im Treptower Park in Berlin. 120000 Menschen. ich ging mit den Massen durch den S-Bahnhof Treptow als alle anfingen zu brüllen:"Die Mauer muss weg". Angst....nur Angst hatte ich.
Kurz vor dem Mauerfall hatte wir eine neue Wohnung bekommen und unsere Küche verkauft. Nächsten Tag stand die Stasi da und fragte warum... Wollen sie das Land verlassen? Nur Angst und Kontrolle.
Dann der 9.Nov. Ich hatte Spätdienst und hörte es im Radio. Sagte zu meinen Kollegen, mensch die Mauer ist auf. Nur dumme Blicke. Gegen 22.Uhr fuhr ich mit meinem Trabbi zur Sonnenallee. Ich parkte Mitten auf der Strasse. Ging zum Übergang und schon hatte ich eine Sektflasche in der Hand. Rufen:Macht das Tor auf...
Den Rest kennt ja jeder....
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Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse.... G.Gundermann

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Clemens
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25 Jahre Mauerfall! Wie habt ihr es erlebt?

Beitrag von Clemens »

Ich muss noch weiter ausholen als Heike um einen Bruchteil des Spannungsbogens verständlich zu machen...
Mein Vater, der sich nach seinem Theologiestudium in Tübingen 1952 bewusst für den östlichen Tein Deutschlands entschied, dabei um eine „Wiedereinreise“ in die DDR mit deren Behörden kämpfen musste, war von oft unangepasster Lebensart. Bereits nach 2 Jahren, in denen ihm mehrfach von Mitarbeitern des MFS (Ministerium für Staatssicherheit) warnend nahegelegt wurde seine Arbeit nicht zum politischen Argumentieren oder gar Kritisieren zu „missbrauchen“, wurde er buchstäblich bei Nacht und Nebel in den Staasiknast verschleppt. Weder er noch meine Mutter bekamen je irgendeine Legitimation der Herren im „Trechcoat“ zu sehen. Ein viertel Jahr ohne jede Anklage, bei physischer Folter durch permanenten Schlafentzug (Er wude nie geschlagen.) und glaubhaften Todesdrohungen hinterließen deutliche Spuren. Er vertrat danach seine Meinung weiter ungebrochen, aber Todesängste haben ihn auch nach der „Wende“ nie gänzlich losgelassen. Trotzdem hatte er das „Angebot“ unmittelbar aus der Haft mit der ganzen Familie in den Westen ausreisen zu dürfen vehement abgelehnt.
Ich wurde also in eine „oppositionelle“ Familie hineingeboren. Nahezu täglich saßen die Bewacher der Kategorie „Wir sollen sichtbar sein!“ im Lada vor unserer Haustür.
„Kurz“ – um zum Thema zu kommen;
Wir wurden bespitzelt und überwacht, wir hatten keine fairen Bildungschancen, ich selbst bin nie zum Spitzel erpresst worden (Vielleicht, weil ich einmal mit Hilfe meines Vaters und der höchsten kirchlichen Dienststellen einen Freund „gerettet“ hatte, welcher entführt und unter Todesandrohung zur „IM-Unterschrift“ genötigt worden war.) Trotz allem war die DDR mein hassgeliebtes zu Hause und ich habe viele Freunde traurig ziehen sehen.
1989 lebte ich in Weißenfels. Da auch dort die Montagsgebete und Demonstrationen in den Kirchen stattfanden, ist es kaum verwunderlich, dass ich von der ersten „konspirativen“ Wohnzimmersitzung die Gründung des „Neuen Forum“ erlebte. Anfangs kaum ein Dutzend Freunde – schnell wurden es mehr. Seit damals weiß ich, wie viele Menschen in ein mittelgroßes Wohnzimmer passen. Die Zeit war einfach unglaublich intensiv. Sowohl die Aufbruchsstimmung als auch die Sorgen um bleibende Gewaltlosigkeit. Als „Geschäftsführer“ des NF – Weißenfels war ich immer häufiger zu Sitzungen am Runden Tisch. Da wurden erstmals Äußerungen der „SED-Kreisleitung“ angeprangert. (Beispiel: „Man muss den Ratten nur ordentlich auf die Köpfe schlagen, wenn sie aus den Löchern kriechen!“) Das Alles war ermutigend und beängstigend gleichermaßen.
Ganze zwei Tage vor dem Mauerfall stellte sich der Weißenfelser Oberbürgermeister erstmals öffentlich auf dem Marktplatz den Fragen „seiner“ Bürger. Wir liefen, wie sonst bei den Mittwoch-Demos, welche sich jeweils dem „Friedensgebet um Veränderungen in der Gesellschaft“ anschlossen, mit weißen Schärpen „Neues Forum“ „Keine Gewalt!“ als Ordner auf.
Trotzdem verlief gerade dieser Donnerstag völlig unspektakulär. Die andauernden Spannungen und Ängste um die „halblegalen“ Treffen und Demonstrationen mussten auch ab und an ausgeblendet werden. An diesem Tag lief bei uns der Fernseher nicht. Unser Sohn war krank und forderte uns. Erst als er und seine Mutter eingeschlafen waren, hörte ich Nachrichten im Radio.
Ich konnte es nicht glauben, hielt es abwechselnd für einen geschmacklosen Scherz, einen Traum oder ein Versehen, welches sich schnell erledigt haben würde. Ich weckte meine Frau, aber sie konnte es auch nicht erfassen, was ich da zu sagen versuchte.
...gebt mir einen Pass, wo „Erdenbewohner“ drin steht. Einfach nur „Erdenbewohner“ ... (Dota Kehr)
Was Du verschenkst, Momo, bleibt immer Dein Eigen; was du behältst, ist für immer verloren! (Eric-Emmanuel Schmitt)

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Reino
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25 Jahre Mauerfall! Wie habt ihr es erlebt?

Beitrag von Reino »

Wie die meisten hab ich den Mauerfall vor dem Fernseher erlebt.
Interessanter aus Sicht des Erzählers war, daß das Kulturzentrum in Stuttgart in den Wochen davor eine Konzertreihe mit DDR-Künstlern (Wenzel, Thalheim, Schaller) veranstaltete, die nun auf heißen Kohlen saßen und gar nicht schnell genug wieder nach Berlin reisen konnten (was bei Auslandsreisen in den Jahren zuvor nicht der Fall war).
Im Februar 1989 war ich beim Festival des politischen Liedes in Berlin. Auch da gab es schon eine Aufbruchstimmung (das war kurz nach der Resolution der DDR-Musiker um Silly) und ein Treffen der Liedermacher/Musiker im Haus der jungen Talente, bei dem es hoch herging. Aber es gab auch noch die absurde Situation, daß ein Konzert von Stefan Körbel "wegen Bauarbeiten" abgesagt wurde (er hatte sich geweigert, das Lied "Beuteltier Uwe" aus dem Programm zu nehmen), während im HdjT Jürgen Eger ziemlich offen vom Leder zog (da mußte man nicht mehr zwischen Zeilen lesen, wie bei den veröffentlichten Liedern der Kollegen).

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