Meine Erkenntnisse und Erfahrungen:
So, ich habs hinter mich gebracht und hab mich erstmalig, bewaffnet mit meiner Gitarre, in ein paar Fußgängerzonen begeben in Städten, die ich noch nicht kannte. Hier mein Fazit zu einer Woche Straßenmusik:
Zunächst möchte ich aber denjenigen, die mit Straßenmusik finanzielle Ambitionen verbinden (bzw verbinden müssen), meinen allergrößten Respekt aussprechen. Da gehört aus meiner Sicht eine Menge dazu, wenn man Qualität und musikalische Vielfalt bieten und auch mit regelmäßig aktualisiertem Programm möglichst viele Zielgruppen (und somit Einnahmen) erreichen will.
Meine Ausgangssituation:
- Ich war nicht erpicht darauf, hohe Einnahmen zu haben, sondern wollte wissen, wie das, was ich mache, ankommt.
Daher hab ich mich für Konzert- statt Westerngitarre entschieden, und mich bei der Songauswahl auf Liedermacher, Folk (englisch/amerikanisch), 2-3 Popsongs und irischen Songs konzentriert, so daß ein Verhältnis von 50:50 bezüglich englisch/deutsch und ein gutes Verhältnis bezüglich schnell / ruhig dabei rauskam. Mit Westerngitarre und mit Liedern, die die Leute hören möchten, kann man vermutlich finanziell ganz andere Ergebnisse erzielen.
- Ich hatte ca. 30 Lieder im Gepäck. Ca. die Hälfte davon konnte ich vorher schon, die anderen habe ich vorher intensiv geübt, somit habe ich alles auswendig gespielt (ist ja ohnehin zwingende voraussetzung, um Blickkontakt zu Passanten aufnehmen zu können). Manchmal hab ich noch ein paar andere Songs, die ich kannte und konnte, eingebaut, aber Hauptprogramm waren eben die 30 ausgesuchten.
- Verstärker waren überall nicht gestattet, insofern hatte ich natürlich schon Bedenken, ob eine "gepickte" Konzertgitarre überhaupt irgendwie zu hören ist. Dadurch schieden große Plätze (ohne Schallreflektionen) oder befahrene Straßen schon mal komplett aus.
- Ich hab mich vorher bei den Ordnungsämtern der Städte nach den Regularien erkundigt und habe mich letztendlich für Städte entschieden, wo ich keine Genehmigung brauchte (oder wo man nicht erst auf dem Amt vorsingen muß), sondern höchstens nach einer gewissen Zeit den Standort wechseln mußte oder nur darauf geachtet werden mußte, bestimmte vorgeschriebene Spielorte auszuwählen.
gesammelte Erfahrungen:
- Straßenmusik allein mit Gitarre / Gesang ist für mich definitiv schwerer, als in Geburtstagsrunden, auf Sessions, oder als Bandmitglied zu spielen.
- Ich war gut vorbereitet und war ich nicht unbedingt nervös, aber doch ziemlich angespannt, bis ich am ersten Tag einen Standort gefunden und das erste Lied gespielt hatte. Insofern hab ich ansatzweise die Art von Lampenfieber erlebt, die den meisten Künstlern zu schaffen macht. Eine gewisse Anspannung und Konzentration ist zwar immer notwendig, aber ich kann mir gut vorstellen, wie es manche Leuten fast umbringt. Vor allem, wenn die Erwartungen des Publikums hoch sind. Ich hab mal gehört, daß auch viele Orchester-Solisten entsprechend oft diverse Mittelchen einnehmen, um das aushalten zu können.
Nun, so schlimm war es bei mir ja bei weitem nicht, ich hatte im Prinzip ja keinen großen Druck, wollte es aber trotzdem nicht auf die leichte Schulter nehmen und hatte da meinen Anspruch an mich selbst schon ziemlich hoch geschraubt.
- Aber mit dem Wissen der guten Vorbereitung und mit einem Song, den ich wirklich im Schlaf beherrsche, loszuträllern und die ersten neugierigen Blicke aufzuschnappen, hat schon was, aber etwas aufgeregt war ich natürich trotzdem am ersten Tag.
- Ich hab viermal von fünf "Auftritten" nicht den gewünschten Standort bekommen. Teilweise hatte ich mir die möglichen Standorte vorher besichtigt (es waren alles für mich fremde Städte). 4x waren die begehrtesten Standorte besetzt, 2x von anderen Musikanten, 2x von Bettlern. Um diesen Leuten ihr Geschäft nicht zu versauen, hab ich dann eben in ausreichendem Abstand woanders Plätze gefunden. Wie gesagt, wir kam es ja nicht auf die Einnahmen an, aber ein paar Leute sollten natürlich schon auch an mir vorbeikommen, damit meine Töne nicht ganz ungehört verhallen.
- Die meisten Leute gingen vorbei, einige sind stehengeblieben (mal kürzer / mal länger) , um eine Weile zuzuhören, es gab auch schon mal dezenten Applaus von 2-3 Leuten oder den ein oder anderen nach oben ausgestreckten Daumen, und natürlich bin ich auf das ein oder andere Lied auch mal angesprochen und entsprechend gelobt worden. Diese Momente blieben zwar natürlich schon die Ausnahme, aber die persönlichen Kontakte waren dann allerdings natürlich auch die Highlights. Mißbilligede Blicke gabs natürlich auch schon mal (wenn, dann aber nur von jungen Erwachsenen), das schiebe ich aber nicht auf meine Darbietung, sondern eher auf die Songauswahl, womit manche Leute eben partout nichts anfangen konnten.
- Selbst bei Liedern, die ich seit Jahren in- und auswendig kann, bin ich auch schon mal steckengeblieben oder hab mich mit den Akkorden verhauen. Es gibt soviele Möglichkeiten, sich ablenken zu lassen, wo dann die Gedanken abschweifen (auch während des Singens und Spielens !) oder die Konzentration nachläßt, weil ich Leute beobachtet habe oder mir für Zuhörer auch mal besonders viel Mühe geben wollte, und mich dann auch prompt verspielt hab.
- Ich habe viel zu verkrampft gespielt, linke Hand machte öfter Probleme als sonst.
- Mit dem Ergebnis, wie Gitarrespiel, Gesang und Liedauswahl ankam, war ich für mich sehr zufrieden (unter den oben genannten Voraussetzungen natürlich).
- Bei einsetzendem (Niesel-) Regen hab ich zwar die Refrains von "Zeig mir den Platz an der Sonne" oder Bodo Wartkes "Regen" angestimmt, das wurde aber nur einmal positiv zur Kenntnis genommen. Da hatten die Leute wohl mehr mit sich selbst zu tun, Schirme aufzuspannen usw.
- Richtig negative oder üble Erfahrungen (mit Eiern/Tomaten beschmissen, vom Standort verjagt, Fenster demonstrativ zugeknallt, Einnahmen ausgeraubt oder dergleichen, blöde Sprüche oder Beleidigungen) hatte ich keine, auch nicht, als ich irgendwo noch in der Mittagsruhe spielte (gilt die eigentlich in gut belebten Fußgängerzonen ?), und auch nicht, als ich gegenüber einer Kirchenwand (für besseren Klang bewußt gewählt) und dem benachbarten Rathaus gespielt habe. Die meisten Leute waren entweder wohlwollend oder ignorierten mich einfach.
Ist schon mal ne gute Erfahrung, den Leuten nicht auf den Nerv zu gehen mit dem, was ich mache.
- Von den Ladenbesitzern bzw Mitarbeitern kam auch keine Beschwerde, einmal sogar kam eine Angestellte extra raus, um
meinen Gitarrenkoffer etwas mehr zu füllen.
- Ich habe allerdings bei dieser ersten "Tour" auch das Unheil nicht heraufbeschwören wollen und hab mich nicht direkt neben oder gegenüber von einem Restaurant oder (Eis- oder normales) Café gestellt (Unabhängig davon, daß ich bei der dortigen Geräuschkulisse auch kaum hörbar gewesen wäre).
Witziges:
- Kleine Kinder waren immer neugierig, was ich da mache. Ein kleines Mädchen, das gerade etwas sicherer laufen konnte, kam seinem natürlichen Drang nach, sich zur Musik (scheinbar egal welcher Art und Qualität) bewegen zu wollen, und drehte so ein paar Pirouetten, ich glaub , das war sogar bei einem ruhigen irischen Song, noch nicht mal was rhythmisch peppiges. Dann haben Eltern auch schon mal den Kinderwagen in meine Richtung aufgestellt und sind für 2-3 Songs
stehengeblieben. Manchmal, wo die Eltern weitergehen wollten, blieben die Kinder stehen und schauten mich gebannt an.
- Ich hatte gerade ein Liebeslied eines deutschen Liedermachers angestimmt, da blieb eine junge Frau stehen und hat zugehört. Nach Ende der 1. Strophe marschierte dann eine lärmende Schulklasse zwischen uns durch. Was tun ? Weiterspielen oder das Zwischenspiel nochmal ? Ich hab mich dazu entschieden, nach 4 Fülltakten und Abwarten einer Lärmminderung den Anfang der 2. Strophe "Deutlicher hör ich jetzt schon vor dem Hause Stimmen, Straßengeräusche...." entsprechend laut zu singen.
- Als ich gerade "Wie könnt' ich von Dir gehen" anstimmen wollte, lief gerade die falsche Zielgruppe vorbei in Form von 2 muskelbepackten Kerlen in entsprechenden Shirts. Ich hab dann doch noch 20 Sekunden gewartet

- Photographiert worden bin ich öfter mal, auch von Japanern, mal direkt mit dem Objektiv auf mich gerichtet, mal als Bestandteil der Kulisse schräg von der Seite. Natürlich mußte ich dabei an das einschlägige Lied von den Blitzlichtern denken
- Einmal wollte ein Vater sein Kind überzeugen, daß es sich vor mich stellt, damit er uns zusammen filmen kann. Das Kind wollte aber partout nicht.
Fazit:
- Ich sag's mit Udo Jürgens Worten: "Ich würd' es wieder tun"
- Eine klasse Erfahrung, das mal ausprobiert zu haben.
- Es gab keine richtig negativen Erlebnisse, dafür einige positive Erlebnisse und Bestätigungen.
- Die irischen / englischen Sachen kamen besser an als die deutschen (leider, da hätte ich mir gerne ein zumindest ausgeglichenes Verhältnis gewünscht)
- Ich bin froh, nicht von der Straßenmusik leben zu müssen, dazu müßte ich wesentlich mehr üben, mein Programm immer wieder überarbeiten und mich mit Leidensgenossen um die besten Plätze streiten (ich kann mir vorstellen, da gibt es mehr Konkurrenzkampf als Verbundenheit). Ich könnte dann nicht die Musik machen, die ich machen will (Ich fürchte, das ist auch ein Kompromiss vieler Profis, die ins Showgeschäft gelangt sind, wie auch immer, und dann nur über ein bestimmtes Image Erfolg haben, aber nicht mit dem, was sie wirklich machen wollen).
- Vielleicht hätte ich Westerngitarre nehmen sollen, da hätte ich aber wesentlich mehr üben müssen, weil ich Westerngitarre eher mit Plektrum und für Schlagrhythmen nehme statt fürs Picking. Und: wenn ich mit Capo spiele, habe ich links mehr Probleme, die Akkorde sauber zu greifen, das Griffbrett ist einfach zu schmal bzw die Fingerchen zu breit. Vielleicht probier ich es einfach mal irgendwann aus.
Und zum Schluß:
Wer sich für meine Song- und Städteliste interessiert oder irgendwelche anderen Fragen hat, der möge mir eine persönliche Nachricht schicken.
Grüße