Herbstgewitter schrieb:
Hat jemand von Euch Dylan schon gesehen?
Anderthalb Mal.
Einmal offiziell und einmal inoffiziell, weil er hier bei mir vor der Haustür ein Open Air-Konzert gegeben hat. Ich hab' mir einen Teil des Konzerts angeschaut, weil die Zäune zur Ausgrenzung der nicht-zahlenden Gäste nur gut zwei Meter hoch waren. Eine Körpergröße von über zwei Metern und eine genaue Kenntnis der Örtlichkeiten zwecks Auffinden einer Erhöhung im Gelände haben manchmal ihre Vorteile.
Würd mich echt mal interessieren, der muss doch mindestens so polarisieren wie...wie...Biermann!;-)
*pffff* Kann ich so nicht bestätigen.
Das offizielle Konzert fand ich ziemlich bescheiden. Dylan fand keinen Draht zum Publikum, was vorrangig wohl auf Gegenseitigkeit beruhte. Er wollte aktuelles Material singen, das Publikum wollte "Blowin' In The Wind" hören. Nach 45 Minuten Dylan war das Konzert folgerichtig beendet. Das inoffizielle Konzert war besser, weil erstens mehr Leute da und zweitens Dylan zwischenzeitlich auch mal wieder in den Charts gelandet ist und somit deutlich gemacht hat, daß er durchaus noch neue Sachen schreibt. Wie viele Leute allerdings auf die Texte gehört haben und wie viele Leute nur gekommen sind wegen Mitklatschen und Dylan-mal-live-erleben-Wollen, weiß ich nicht.
Für weit polarisierender halte ich dagegen das Dylan-Publikum. Ich hab's bestimmt schon häufiger erzählt, aber gerne nochmal:
am 16. Oktober '92 fand sich im Madison Square Garden in New York eine muntere Schar Musiker und Zuschauer ein, die gemeinsam mit Bob Dylan den 30. Jahrestag seines Plattenvertrags feiern wollten (später erschien ein Teil des Konzerts als "30th Anniversary Concert Celebration") - Tom Petty, Stevie Wonder, Ritchie Havens, Johnny Cash, George Harrison, Chrissie Hynde, Neil Young, Johnny Winter, Kris Kristofferson, Lou Reed, Willie Nelson, Roger McGuinn ... dieses Kaliber. Wurde auch in Deutschland live übertragen; da war ich dann dabei

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Bis zum Auftritt von Sinéad O'Connor war eigentlich alles so wie geplant bzw. gewünscht. Diese hatte jedoch eine Woche vorher bei Saturday Night Live eine A-Cappella-Version von Bob Marleys "War" interpretiert, dabei ein paar Worte so abgeändert, daß sich die Zeilen gegen Kindesmißbrauch wandten, dabei ein Bild des Papstes zerrissen und "Know your real enemies" verkündet. Als sie nun im Madison Square Garden vor das Publikum trat und eine Dylan-Ballade zum Besten geben wollte, wurde sie gnadenlos von der Bühne runtergebuht. Ich rechne es Kris Kristofferson hoch an, daß er ihr in dieser Situation den Rücken gestärkt hat. Und ich rechne es ihr hoch an, daß sie dazu überging, über die wütende Menge hinweg Bob Marleys "War" noch einmal zu singen und die Worte zu betonen, auf die es ihr ankam, ehe sie erhobenen Hauptes von der Bühne ging (und danach anscheinend zu weinen anfing, was ich damals nicht registriert habe, aber ich hab' später den dazugehörigen Clip auf einer Videoplattform gefunden, da ist es mir dann aufgefallen). Ich hab' das Publikum nicht verstanden und tue das auch bis heute nicht, immerhin stand Bob Dylan meiner Meinung nach immer für Protest, das Aufzeigen von Problemen und das Hinterfragen bestimmter Entwicklungen - nun kam jemand, der genau dasselbe tat, und dafür von genau der Menge abgewatscht wurde, die eigentlich für kritische Töne empfänglich sein sollte. Daß Bob Dylan für einige Jahre eine "christliche" Phase hatte - geschenkt. Daß die USA im allgemeinen ein ... nennen wir's mal "besonderes" Verhältnis zum christlichen Glauben, Kirche und Gott haben - meinetwegen, sei's drum. Ich fand die Aktion trotzdem fehl am Platz. O'Connor selbst hat sich zwar Jahre später von dem Zerreißen des Bilds distanziert - war ja auch starker Tobak -, aber das ändert nichts an meiner Meinung

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Seit dem Tag weiß ich nicht mehr so richtig, was ich von Dylans Publikum zu erwarten habe. Und ich kann Neil Young besser verstehen, der schon vorher mit einer abwinkenden Handbewegung gemeint hat, daß Lieder nichts ändern. Also - von dem hab' ich's vorher gehört, mein' ich ... gesagt haben das sicher vorher schon viele; Biermann übrigens auch, wenn auch meines Erachtens nicht so direkt ("Für einen faulen Fan" hieß das Lied ... ist auf der "Eins in die Fresse, mein Herzblatt" drauf)

Gruß
Skywise