Tata, hier ein kleiner Bericht von Karlsruhe:
Kai Degenhardt, Konzert in Karlsruhe 17.3.2012
Die Organisatoren wollten ihn unbedingt haben. Allerdings waren sie denkbar unerfahren, so daß einiges daneben ging. Nächstes Mal wird´s besser werden.
So herrschte Unklarheit über den Beginn, und auch als es um 20 Uhr endlich losging, waren mangels Werbung kaum Zuhörer da. Und ich war viel zu früh, was mir aber die Gelegenheit gab, mit dem Künstler im Restaurant eine ganze Weile zu plaudern und seine Meinungen zur Lage von Kunst und Politik einzuholen. Sehr schön. (Nicht die Lage, sondern das Gespräch ...)
Im "familiären Kreis", der sich im Laufe des Abends noch ein wenig erweiterte, schlug er dann also auf. Begann mit dem ersten Lied seiner neuen CD, das "Über den Mond" heißt und mir gleich ausgezeichnet gefiel in seiner Mischung aus Persönlichem und Politischem, Sanftem und Ruppigen. Es folgten zwei Lieder zu Imperialismus und Krieg, nämlich "Wir gehen rein" von seiner 2008er CD ("Weiter draußen") und, dazugehörend wenngleich viel früher geschrieben "Homecoming" (1999!) aus der Sicht eines toten US-Soldaten, dessen Mutter weiß, daß er von nun an immer bei ihr bleibt...
Die weitere Abfolge weiß ich nicht mehr genau, jedenfalls spielte er relativ wenige Lieder von seiner neuen CD. Grundsätzlich finde ich Konzerte ja eine grausame Sache für den Künstler, man soll was Neues bringen, muß dann aber notgedrungen irgendwas weglassen, aber was? Irgendwann auch die schönsten Lieder wie "Damals als ich älter war" und vieles mehr, aber ersetzt wurden sie teilweise nicht durch die ganz neuen, sondern durch ganz alte, denn Kai Degenhardt wühlte im Familienfundus und fand z.B. das unsterbliche "In den guten alten Zeiten" und den "P.T. aus Arizona", Lieder seines Vaters aus den 60ern.
Von der neuen CD gab es zunächst noch "Der letzte Tritt", ebenfalls ein sehr gelungener Song, halb gesprochen, halb gesungen. Eure Welt wird untergehen, ruft er der kapitalistischen Elite entgegen "und dazu gibts von uns - vielleicht schon bald - den letzten Tritt".
Beim gesprochenen Text "Zum Verbrechen" verhedderte er sich ein wenig, weil die wenigen Leute sich bewirten ließen (s.o.) und es einen hohen Geräuschpegel gab ;o) "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein..."? Nein kein Verbrechen: "Handtaschenraub ist ein Verbrechen." (Faschismus ist ein anderes Kaliber!)
Von der vorletzten CD sang er außer "Wir gehen rein" den Titelsong "Weiter draußen" mit vielen herrlich selbstironischen Passagen sowie "Die Tötung", dieses ebenso bedrückende wie eingängige Lied ("sperrig", schrieb Konstantin Wecker zwar vor einigen Monaten, nun, der hat keine Ahnung, was sperrig bedeutet *g* ). Dieses Lied über einen Asylbewerber, der zu Tode schikaniert wird, hat ja die Besonderheit, daß mögliche emotionale Reaktionen der Zuhörer bereits mit thematisiert werden ("und ihr, die powered by emotion...").
Nicht fehlen durfte selbstverständlich das zum 11. September 2001 geschriebene Stück "Das große Spiel", das Spiel der Mächtigen, "der ganz normale Spielbetrieb, mal mit und manchmal ohne Krieg". Hier gibts übrigens ein gutes Video dazu von einem früheren Auftritt:
http://www.youtube.com/watch?v=f3uqsni9E0k
Die spannende Frage ist ja immer, welche Zugaben kommen? Kai Degenhardt kündigte zwei an, diese waren das - auch musikalisch - eher aggressive "Damit die Straße wieder brennt" (von 1999), und im Kontrast dazu das sehr ruhige "Näher als die scheinen", der Titelsong des neuen Albums. Ein faszinierendes Stück fürwahr. Und er leistet sich nach "Der letzte Tritt" tatsächlich nochmal eine Prise Optimismus, wenn er davon singt, daß einmal doch die Welt vom Kopf auf die Füße gestellt werden wird, denn: "Die Dinge sind ja näher als sie scheinen."
Nun kam ein Sprecher auf die Bühne, bedankte sich, Kai Degenhardt ging runter und wähnte sich in Sicherheit. Bis es plötzlich hieß: Und vielleicht spielt er uns noch was, wenn wir ihn nett darum bitten. Da wurde er kalt erwischt und er spielte dieses verrückte Stück, das ich komischerweise mag, obwohl es gar nicht so mein Stil ist: Southern Comfort. Vermutlich weil es einfach sehr gut ist, textlich und musikalisch originell bis innovativ. Danach wars aber wirklich vorbei. Naja, aber es bleibt das Album. Das muß ich dann mal gesondert besprechen. Für heute nur: Es sind noch etliche Juwelen drauf, die in Karlsruhe nicht zur Aufführung kamen...
Liebe Grüße
Jürgen