Marla schrieb:
was mir auch "ausgesprochen Leid tut"

, ist, dass ich deine Sicht auf die 15-, 16-Jährigen, denen du mehr als jüngeren Missbrauchsopfern zutraust, sich helfen zu können, immer noch für zu einfach halte. Wenn es doch so einfach wäre! Aber das ist es nicht.
"Wissen" und "können".
Marla schrieb:
Ob sie sich nun exakt auf dem Stand von 5-Jährigen (oder 7- oder 9- oder 12-Jährigen) befinden, ist, glaube ich, Wortklauberei.
Wenn ich Dich daran erinnern darf, wie meine Aussage lautete?
"Ein 15- oder 16-Jähriger wird sich unter Garantie besser zu helfen wissen als ein 5- oder 6-Jähriger."
Diese Aussage wurde von Dir angezweifelt, ich habe meine Gründe für diese Ansicht dargelegt. Ich bin bislang davon ausgegangen, daß wir exakt über diese Ansicht diskutieren.
Psychisch sind sie jedenfalls derartig deformiert, dass reflexartig jeder Erwachsene für sie eine unangreifbare Autorität darstellt und ein Aufbegehren dagegen in der Wahrnehmung dieser Jugendlichen einer Gotteslästerung gleichkommt. Das haben sie einem vor allem elterlichen Umgang mit ihnen zu "verdanken", der von extremem Erwartungs- und Anpassungsdruck, demzufolge also von Angst geprägt war/ist. Über Gewalterfahrung, mindestens psychischer Art, und darauf zugeschnittene Verhaltensmuster des angstbedingten Erduldens verfügen sie also bereits.
Dass Sexualstraftäter davon ausgehen können, bei Vorliegen einer solchen psychischen Konstitution ihrer Opfer auf bedingungslosen Gehorsam stoßen zu können, erscheint mir nur logisch. Darum sind nahezu immer Jugendliche mit genau den beschriebenen Voraussetzungen von Missbrauch jeder Art betroffen.
Folglich handelt es sich bei diesen Opfern also nicht um Einzelfälle, nicht um die Ausnahme, sondern um die Regel.
Jeder Fall, zu dessen Eintreten mehrere Faktoren, darunter auch einige mit geringer Wahrscheinlichkeit, notwendig sind, ist kein Regelfall. Wenn wir von einer Gesetzesänderung sprechen, müssen wir uns insbesondere die Gruppe ansehen, für die dieses Gesetz Auswirkungen hätte. Ich habe keine aktuellen Zahlen vorliegen, vermute aber mal, daß die Zahl der Opfer von Sexualstraftaten im Alter von 14 bis 18 Jahren im Vergleich zur Gesamtzahl der Gruppe niedrig ist. Und wenn ich mir überlege, daß einige Leute bereits mit 15 oder 16 Jahren einer Ausbildung oder bereits einem Beruf nachgehen, sei es im Lager, im Supermarkt, auf dem Bau, im Büro oder sonstwo, und eventuell auch schon über eine eigene Familie nachdenken, was rein biologisch in diesem Alter durchaus möglich ist, dann habe ich gigantische Probleme damit, diese Leute vor der Allgemeinheit bloßzustellen, indem ich das Damoklesschwert "Sexueller Kindesmißbrauch" über dem Kopf des Partners aufhänge.
Marla schrieb:
Inwiefern diese Überlegung die Notwendigkeit der geltenden Altersbegrenzung beim Straftatbestand des Kindesmissbrauch stützen könnte, vermag ich nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Was nützt potenziellen Opfern ein Wissen, das nicht umgesetzt werden kann?
Ich kann nicht davon ausgehen, daß man ein Wissen in jeder Situation einsetzen kann.
Spinnen wir's durch: ich weiß, daß jemand arge Probleme mit dem Gleichgewichtssinn bekommt, wenn ich ihm einen Kinnhaken versetze. Das ist die Theorie. Es kommt zu einem Banküberfall und der Täter hält mir eine Waffe entgegen. Praktisch ist es so, daß er immer noch umfällt, wenn ich ihm einen Schwinger verpasse. Aufgrund der Waffe und einer damit verbundenen Existenzangst würde ich es aber nicht tun. Wäre die Waffe nicht da, dann könnten wir noch einmal darüber reden.
Spinnen wir's weiter: als ich 5 Jahre alt war, wäre ich wahrscheinlich nicht mal in Lage gewesen, die Situation des Banküberfalls vernünftig zu erfassen. Eventuell habe ich schon Erfahrungen mit einem Kinnhaken gesammelt ... da hatten wir einige experimentierfreude Idioten in meiner Kindergartengruppe, wenn ich den Schilderungen meines Lieb Mütterleins so glauben darf, aber ich wäre höchstwahrscheinlich weder theoretisch noch praktisch in der Lage gewesen, dem Banküberfaller einen solchen zu präsentieren.
Mit 15 WUSSTE ich mir besser zu helfen als als 5-Jähriger. Daß ich es in der beschriebenen Situation nicht hätte tun KÖNNEN, habe ich erklärt.
Wenn man berücksichtigt, dass nicht nur jene Jugendliche, die noch nicht einmal über das Wissen von schützenden Verhaltensmustern verfügen, Opfer werden, sondern auch solche, die ihr vorhandenes Wissen nicht umsetzen können, vergrößert dies nur den Kreis der über 14-Jährigen potenziellen Opfer - womit sogar noch eine zusätzliche Begründung für den Unsinn besagter Altersbegrenzung vorliegt.
Und Du meinst, eine 50-jährige Frau könne sich besser wehren, wenn man ihr eine Wumme an den Kopf hält? Sollten wir nicht vielleicht anfangen, hier auch von einem sexuellen Kindesmißbrauch zu sprechen?
Wie gesagt - es geht mir vor allem darum, daß die Kinder geschützt sind, die im Normalfall WEDER ein theoretisches Wissen NOCH ein praktisches Können vorweisen können.
Sind nicht auf jeden Fall die von Hause aus Verängstigten unter ihnen - und zwar unabhängig vom Alter - auch in den Augen von Missbrauchstätern geradezu prädestiniert, Opfer zu werden?
Schwierige Frage.
Wie der Jurist sagt: es kommt drauf an.
Einige wurden zu Leichen, das kann ich sicher sagen. Einige zogen weiter, auch das kann ich sicher sagen.
Rückblickend würde ich einer ziemlich großen Gruppe der Betroffenen eine ganz normale Entwicklung bescheinigen, weil in diesem Fall der Druck von kleineren Gruppen ausging und somit die Verängstigung nur in bestimmten Fächern oder zu bestimmten Uhrzeiten präsent war; dieses Problems konnte man sich allerdings recht geschickt entledigen, indem man die Schwerpunkte der weiteren Ausbildung entsprechend setzte. Da diese Gruppe aber wahrscheinlich nicht nachhaltig genug unter Druck gesetzt wurde, lasse ich diese erst mal außen vor.
Einer kleinen Gruppe der Restlichen würde ich tendenziell eher zutrauen, Täter als Opfer zu werden, auch wenn mir die psychologische Kompetenz fehlt, um dies mit letzter Sicherheit zu sagen, geschweige denn zu begründen. Ich bezeichne es mal physikalisch als "Druckausgleich".
Von einer weiteren Gruppe der Verbliebenen würde ich behaupten, daß hier vielleicht potentielle Opfer zu finden wären, allerdings sind das diejenigen, die sich "in den Schoß ihrer Familie fallen lassen konnten". Die, die den Ruf weghatten, sich abends mit einem umgebundenen Schlabberlätzchen, auf dem in rosa oder wahlweise blauen Buchstaben groß "Mamas Liebling" geschrieben stand, füttern zu lassen. Hier existierte der Rückhalt der Familie - und hier war auch die Basis für ein Selbstbewußtsein, das ihnen in der Schule nicht immer gut zu Gesicht stand. Extrem formuliert. Es gab unter ihnen auch ein paar Grenzgänger zu moderateren Gefielden, unter denen ich eher potentielle Opfer vermuten würde.
Dann gab es die, die ich mal im Scherz als "Wühl-" oder "Kampfmaus" bezeichnet habe. Die Guerilla-Kämpfer, die stur ihr Ding durchzogen, zu Hause hart rangenommen und in der Schule vielleicht gehänselt wurden (in den meisten Fällen wegen Kleidung oder sozialer Herkunft), sich in der Regel nicht zur Wehr setzen konnten, aber im Untergrund geackert und geschuftet haben, teilweise auch abends noch ein paar Pfennig durch Nachhilfe oder körperliche Arbeit dazuverdient haben und auf diese Weise ihr Selbstbewußtsein aufrecht hielten. Das waren die, die "raus" wollten, und die das durch Arbeit oder gute Noten erreichen wollten. Wenn überhaupt, dann sehe ich ein "Opferpotential" eher innerhalb der eigenen Familie, da sie gegenüber Außenstehenden meist schroff und abweisend waren.
Und der Rest ...? Der läßt sich nicht ganz so gut kategorisieren, würde ich sagen. Also - keine zwei oder drei, die meiner Erinnerung nach dieselben Merkmale aufweisen würden. Wie das wahrscheinlich meistens bei Außenseitern der Fall ist. Und bei Leuten, die ohnehin alle eher zu Einzelkämpfern erzogen wurden. Die Frage, ob es darunter potentielle Opfer gäbe, würde ich wohl mit "ja" beantworten, in den meisten Fällen davon jedoch eher mit einem "ja, aber".
Lass dann noch - wie bei Demmler - eine gewisse Prominenz, ein wenigstens teilweises Ansehen bei Machthabern des Staates (Demmler war ja für die DDR auch eine Devisenquelle und immerhin Nationalpreisträger) sowie schließlich eine für das Opfer konstruierte Perspektive, das eigene Talent und/oder die sehnlichsten Wünsche ausleben zu können, hinzukommen ...
Keine Ahnung ... unter den oben genannten Personen befanden sich - wenn auch manche nur zeitweise - durchaus auch Kinder von Prominenten, sprich: Leute, die im Bedarfsfall auch über die richtigen Beziehungen verfügen.
Ob jetzt der Wunsch, Prominenten mit den eigenen Wünschen auf die Nerven zu gehen, wirklich so groß ist, kann ich nicht abschätzen ...
Gruß
Skywise