Hallo, Lance.
Zunächst mal: die blassen Stellen ziehen sich doch ohnehin durch Reinhard Meys Gesamtwerk. Ich weiß auch nicht, was an den Alben der 70er "besser" gewesen sein soll; wenn ich sie mir durchhöre, stoße ich auch dort auf sehr viele Patzer und Schwächen, seien sie musikalischer oder textlicher Art.
Dann: Kreativität läßt sich nicht an- und abschalten wie das Deckenlicht. Aber meines Wissens wurde das auch niemals und an keiner einzigen Stelle behauptet.
Ich schätze Reinhard Mey so ein, daß er das ganze Jahr hindurch sich fleißig Notizen macht, Ideen sammelt, Vergleiche, Reime, Gedankenfetzen, Melodien, Begleitakkorde oder Arrangementansätze aufschreibt und die dann in ein paar ruhigen Wochen, in denen er sich von der Außenwelt abkapselt, zu richtigen Liedern ausarbeitet und an diesen noch fleißig herumschleift und -feilt.
Die Kreativität hält also das gesamte Jahr durch. Das allzweijährliche Zurückziehen dient nur dazu, Ideen abzuschließen und endlich Lieder zu haben, die man in die Welt schicken kann.
Ob die Plattenfirma Schuld ist, glaube ich nicht, denn den Rhythmus hält er bereits seit den 80er Jahren konsequent durch - und damals war er bei Intercord unter Vertrag, die später von der EMI geschluckt wurden. Das Management-Team um Reinhard Mey dürfte sich also vonseiten der Plattenfirma bereits verändert haben - und wenn die dieselben Ansprüche an ihre Künstler haben wie das vorherige Management, würde mich das ausgesprochen wundern.
Ich glaube, Reinhard Mey braucht eben eine gewisse Routine und setzt sich mit diesem 2-Jahres-Rhythmus selbst ein wenig unter Druck, denn - wie er selbst sagt - er ist ja anscheinend ein fauler Gesell'. Und vielleicht würde es sonst mit einem weiteren Album nix mehr werden

Niemand behauptet, daß die "kreativen" Wochen von Reinhard Mey immer gleich gut ausfallen - bei "Rüm Hart" hatte ich das Gefühl, daß da irgendwie eine Menge im "Hau-Ruck"-Verfahren fertig gestellt wurde. Bei "Nanga Parbat" glaube ich, ein bißchen mehr Ausgeglichenheit und innere Ruhe aus dem Endprodukt herauszuhören, was mir sehr gut gefällt. Anscheinend war er in diesem Fall einfach besser drauf oder hatte bessere Ideen über's Jahr.
Eine kreative Pause bei Künstlern ist so eine Sache für sich ... ich habe Sachen in meinem Plattenschrank stehen, bei denen haben sich die Künstler sechs, sieben oder meinetwegen zehn Jahre Zeit gelassen für ein neues Album und diese sind schlichtweg genial. Auf der anderen Seite hab' ich hier auch Sachen stehen, bei denen die Künstler nach einer nur dreijährigen Pause nicht mehr in der Lage waren, auch nur halbwegs an die Qualität vergangener Tage anzuknüpfen (in einem speziellen Fall war ich sogar regelrecht so erschüttert, daß ich insgeheim schon gehofft hatte, daß es sich bei dem Interpreten um einen zufälligen Namenszwilling handeln möge - war leider nicht der Fall).
Die Frage ist: was erwartet man von einer solchen Pause? Ich persönlich muß sagen: bei Reinhard Mey erwarte ich nichts. Textlich hat er seinen Stil gefunden - da dürfte sich nicht mehr viel ändern. Musikalisch war er eigentlich noch nie eine richtig große Überraschung. Die Arrangements liegen nicht in seiner Hand. Höchstens am Inhalt könnte sich noch etwas ändern ...
Außerdem denke ich, daß er es doch hin und wieder schafft, zwischen den täglichen Muckefuck den einen oder anderen Bohnenkaffee zu schmuggeln (ich denke da an die "Immer weiter", die "Leuchtfeuer" und die "Flaschenpost"). Allzu schlecht scheint das Konzept also dann doch nicht zu sein.

Tja.
Gruß
Skywise