Lieber Migoe, nun hast Du einen so schönen neuen Terminkalender, in dem Du so viele unserer Wünsche umgesetzt hast – und doch hat er noch einen Nachteil: Die Termine vom 01.05. sieht man erst am 01.05., wenn man den Mai nicht ausdrücklich vorher mal selbst anklickt. Den Tourneeplan von Konstantin Wecker hatte ich längst studiert und bedauert, dass er nicht in meiner Nähe gastiert. Dass da am 1. Mai ein Konzert in St. Ingbert eingetragen wurde, ist mir völlig entgangen. Gottlob ist mein Mann viel im Saarland unterwegs und hat ein Plakat entdeckt – das ist ja gerade nochmal gutgegangen. Als Konzertbeginn stand auf der Karte 19 Uhr, in Deinem Terminkalender hieß es 19 – 21 Uhr.
Obwohl ich mich am Nachmittag noch ein bisschen im ICQ verplaudert hatte (gell, Serafina

Dieses Mal ist es mir nicht gelungen, einen Platz in der ersten Reihe zu ergattern, denn die beiden ersten Reihen waren reserviert. Aber in der dritten Reihe fand ich ziemlich in der Mitte einen freien Sitz. Der Saal war nicht zu eng bestuhlt, und der Blick zur Bühne war frei. Nun hieß es also eine Dreiviertelstunde warten. Die Stadthalle von St. Ingbert scheint ziemlich neu zu sein, von außen eher unscheinbar ist sie innen ein richtiges Schmuckstück. Die rückwärtige Holzwand ist in viele Elemente geteilt, die man seitlich wegschieben und in der Wand verschwinden lassen kann, um den Saal zu vergrößern. Das erwies sich an diesem Abend auch als notwendig und praktischerweise war dahinter auch schon bestuhlt. – War ich bei Hannes Wader die einzige Frau im ganzen Saal, die einen Rock trug, stellte ich bei Konstantin Wecker fest, dass sich die Jeans-Träger und die gestylten Gäste in etwa die Waage hielten. Was mich aber wirklich erstaunte, war der Anblick, den die Bühne bot: Sie war prallvoll mit technischem Equipment. 10 Mikrofone, etliche E-Gitarren, eine Akustik-Gitarre, ein E-Piano, ein Schlagzeug, ein Akkordeon und eine Posaune waren zu sehen, außerdem Boxen und Kabel – es schien kein bisschen Platz mehr zu sein.
Kurz nach sieben wurden wir vom Veranstalter begrüßt, einem Herrn von 'Begegnungen auf der Grenze e. V.', der seinen Verein kurz vorstellte. Die Veranstaltung sei tri-national, am Abend zuvor hätte man bereits den Beitritt Polens zur EU ausgiebig mit Marcel Adam (auch auf dieser Seite unter den Netztipps zu finden) bis tief in die Nacht hinein gefeiert, und nun käme also Anna Treter aus Polen mit ihrer Band. "Anna Treter – jeder kennt sie", sagte er. Für das spätere Konzert mit Konstantin Wecker wurde schon mal angesagt, dass nur während der ersten drei Lieder und auch nur ohne Blitzlicht fotografiert werden dürfe.
Dann stürmten fünf Musiker die Bühne. Kurz darauf erschien Anna Treter und sang ihr erstes Lied. Die beiden ersten Stuhlreihen waren nicht etwa für die Honoratioren der Stadt reserviert, sondern für eine größere polnische Delegation, die sich gerade in St. Ingbert aufhielt. Nach dem Lied begrüßte uns die Sängerin in Englisch. "It’s a very special day for Poland – and for me, too." Danach wollte sie uns Lieder ihrer neuen CD 'Na Poludnie' vorstellen. Es gab keine Zwischentexte, so waren im Nu neun Lieder gesungen, am Ende der Lieder blieb immer ein Part ohne Gesang, sodass die Band reichlich Gelegenheit hatte, sich auszutoben. Obwohl der größte Teil des Saales kein Polnisch verstand, war die Stimmung absolut spitze. Die Sängerin hatte eine dunkle, kräftige Stimme, sang sehr leidenschaftlich und zog das Publikum von Anfang an in ihren Bann. Es gab Begeisterungsrufe und –pfiffe, und es wurde mitgeklatscht. So verging fast eine Stunde mit mitreißender Musik. Zum Schluss wurde die Truppe noch zu einer Zugabe herausgeklatscht und präsentierte noch ein zehntes Lied. Danach, kurz vor acht Uhr, wo andere Konzertabende erst beginnen, hatten wir uns eine Pause verdient, die auch für den Umbau der Bühne notwendig war.
Als wir aus der Pause zurückkamen – jaaaa, so erwartet man die Bühne bei einem Wecker-Konzert: ein Flügel für ihn selbst, Keyboards für Jo Barnikel und ein Sortiment Blasinstrumente für Norbert Nagel. Was mich jetzt noch ein kleines bisschen beunruhigte, war der Hinweis in Migoes Terminkalender auf das Konzertende um 21 Uhr. Nun wurden die drei Künstler angesagt, und Konstantin Wecker, die Haare wieder etwas länger als auf den letzten Fotos und länger als die seiner Mitstreiter, begann mit 'Ich singe, weil ich ein Lied hab'. Anna Treter hatte einen sowohl stimmungs- als auch temperaturmäßig gut aufgeheizten Raum hinterlassen, aber es ging noch heißer! Der Saal brodelte regelrecht. – Nun ist es aber langsam an der Zeit, mich als NICHT-Wecker-Kennerin zu outen. Klar, er war immer da, solange ich denken kann, aber ich habe ihn früher nie bewusst gehört. Ja, Marc, dieses Mal habe ich glücklicherweise einen Stift und ein Blatt Papier mitgenommen und mir möglichst unauffällig im Halbdunkeln Notizen gemacht. Da ich die alten Lieder aber nicht kenne, hat das teilweise auch nicht gereicht. Vielleicht kann ja der Wecker-Kenner Reto oder sonst jemand meine Andeutungen irgendwelchen Liedern zuordnen.
Nach dem bereits erwähnten Einführungslied begann ein Abend, an dem Konstantin Wecker in ständigem (allerdings einseitigem) Gespräch mit seinem Publikum war. Er erzählte uns sein ganzes Künstlerleben, reich gespickt mit Liedern. Es begann mit den 'Sadopoetischen Gesängen des Konstantin Amadeus Wecker', die er sehr gerne 'Die Poetischen Gesänge des Konstantin Wecker' genannt hätte, aber die Schallplattenfirma meinte, anders würde sich das Ganze besser verkaufen. ("Sie hat sich leider geirrt.") Von dieser Platte stellte er drei Lieder vor. Tut mir Leid, aber zum ersten habe ich mir nur notiert 'Abends, wenn....', zu diesem Zeitpunkt dachte ich halt noch, dass das reicht. Jetzt weiß ich nicht mal mehr, ob das der Liedanfang oder der Beginn des Refrains war. In der Discografie habe ich ein Lied entdeckt '... dann pack ich meine Zähne' – an so was kann ich mich dunkel erinnern, vielleicht war es das ja. Jedenfalls ließ er von diesem Lied die letzten beiden Strophen weg. Er wollte uns nur demonstrieren, dass er, während andere politische Lieder machten, von der Fleischeslust sang. Dann wurden 'Ich habe meinen linken Arm in Packpapier verpackt' (er hatte ihn wohl abgehackt und blutverschmiert nach Paris geschickt) und 'kurz berockte Mädchen' (heißt es vielleicht 'Der Lauscher hinterm Baum'? Ich weiß es wirklich nicht.) angespielt. Von der nächsten Platte gab es 'Ich lebe immer am Strand'. Es folgte 'Wenn der Sommer nicht mehr weit ist', 'Frieden im Land' und 'Genug ist nicht genug'. Alle Lieder selbstverständlich gekonnt begleitet von Norbert Nagel und Jo Barnikel. Nun las Konstantin Wecker aus einem seiner Werke vor, evtl. war es 'Uferlos', da soll es ja auch viel um Fleischeslust gehen, habe ich mir erzählen lassen. Natürlich 'las' er nicht nur, nein, er schauspielerte, er zelebrierte den Text. Als nächstes habe ich notiert: 'In dieser Nacht bleib nicht liegen'. Ich glaube, das Lied begann mit 'In dieser Nacht...' und später kam die Textpassage '...drum bleib nicht liegen...', mit der auf der Homepage von St. Ingbert getitelt wurde. Mit 'Endlich bist Du wieder unten' und 'Stürmische Zeiten, mein Schatz' ging die erste Konzerthälfte zu Ende. Inzwischen war es halb zehn.
Nach der Pause ging es weiter mit 'I werd oid' und 'Wehdam'. In der Zeit nach dem 'juristischen Vorfall' in seinem Leben, habe Wecker viel komponiert, erzählte er, aber es seien ihm keine vernünftigen Texte eingefallen. Da hatte es sich gut getroffen, dass ihm die Brecht-Erben angetragen hatten, Gedichte von Bert Brecht zu vertonen. Es sei auch eine CD entstanden ("hochgelobt, aber kaum gekauft"), von der er uns ein Stück vorstellte. Es war ein Gedicht des jungen Brecht 'Vom Schwimmen in Seen und Flüssen'. Nun war er in der Neuzeit angelangt, sodass ich die meisten Lieder kannte. Es kam ein Stück über die Schwermut 'Alles das und mehr', 'Allein' und der 'Waffenhändler-Tango'. Danach sang er zu meiner Freude Hannes Waders 'Schon so lang'. Mit 'Wenn die Börsianer tanzen' ging das Konzert langsam seinem Ende entgegen. Nach 'Sage Nein' sprang er auf, seine Kollegen kamen nach vorne, und sie verbeugten sich. Aber das Publikum war hellwach. Schon riss es die ersten von den Stühlen und sofort wurden Zugabe-Rufe laut.
Als erste Zugabe gab es 'Amerika'. Bei der zweiten Zugabe sorgte die kleine Text-Änderung 'Was für eine Nacht: Es spielte Norbert Nagel.' für allgemeine Erheiterung. Es ist auch gelungen, die Herren ein drittes Mal herauszuklatschen. Nun spielten sie 'Was ich an Dir mag' und 'Das Liebeslied im alten Stil'. Nach weiteren standing ovations, Rufen und Pfiffen kam Konstantin Wecker noch einmal alleine zurück und stellte zum Abschluss ein ganz neues Lied vor. Wie es heißt, hat er nicht gesagt, aber es begann mit den Worten 'Man müsste nochmal fünf/sechs Jahre alt sein'. Beim Schreiben dieses Liedes hat er über sich gelernt, dass er immer noch sehr viel Lebensfreude hat, erzählte er noch. Aber danach war endgültig Schluss.
Damit Du mich nicht noch einmal fragst, ob ich aus dem Autogrammjäger-Alter heraus bin, lieber Marc, lass Dir gesagt sein: Dieses Mal hatte ich keinen 'lästigen' Begleiter dabei, der mich sofort aus dem Saal zerrte, aber ich war anscheinend die Einzige, die gerne ein Autogramm gehabt hätte. Der Saal leerte sich schnell, ich lungerte noch eine Weile herum. Verschiedene Leute, die ich nach einer Autogrammstunde fragte, konnten keine Auskunft geben. Schließlich ging ich die paar Meter zu meinem Auto und trat Viertel nach elf die Heimfahrt an.
Noch nie haben mir nach einem Konzert so die Hände weh getan. Man hätte glatt den ganzen Abend durchklatschen können. Diese drei Künstler spielen derart perfekt zusammen und haben dabei eine derart offensichtliche Freude, dass man einfach begeistert sein MUSS. Konstantin Wecker wirkte jederzeit absolut ehrlich. Naja, bei welchem Lied war es noch gleich, dass sein Fuß auf den Tasten landete? Das wirkte zwar spontan, aber von der Nummer habe ich schon ein paar Mal gehört. Egal. Er singt, weil er ein Lied hat und nicht, weil wir es bestellen – so singt er es und so kommt es an. Mich hat er jedenfalls überzeugt.
Petra
P.S. So, Thomas, verrätst Du mir vielleicht, wo ich Dich gefunden hätte, wenn ich gewusst hätte, dass Du da bist? Ich saß jedenfalls ganz in der Nähe des Säuglings, der vor dem Konzert noch gestillt wurde und lange Zeit ruhig war, eine Weile aber auch ganz schön rumgequengelt hat. Du wirst ja wohl nicht der Vater gewesen sein?
