Guten Tag,
auch wenn's reichlich spät ist will ich auch noch meinen Eindruck zum "Bunten Hund" loswerden. Ich wollte keinen Schnellschuss nach einmaligem Hören loslassen, hatte aber bislang auch noch nicht so die Zeit zum zweiten Hören. Jetzt hatte ich sie und hier meine Eindrücke.
1) Sommer 52
Finde ich einen der besten Alben-Opener seit langem. Eines dieser kleinen kompakten Lieder, die ich besonders gern mag. Wäre auch ein schönes Schlusslied gewesen, aber am Anfang passt es auch deshalb gut, weil die Stimmung des ganzen Albums eine eher wehmütig-rückschauende ist.
2) Der Fischer und der Boss
Huiuiui, große Balladenkunst. Das ist ja fast 19. Jahrhundert - "John Maynard" und "Die Füße im Feuer". Gefällt mir auch musikaliscch ausgesprochen gut. Storytelling at it's best, wenn ich mal einen solch verpönten englischen Ausdruck benutzen darf.
3) Wotan und Wolf
Hat mir erst beim zweiten Hören wirklich gefallen (und das zweite Hören war auf dem Liedertreffen). Da hab ich den Text wohl erst richtig verstanden. Und jetzt mag ich es auch. Beim ersten mal hab ich die beiden Hunde irgendwie nicht auseinanderhalten können.
4) Bunter Hund
Also, der Blues ist seine Sache sicher nicht. Und auch der Text ist sicher nicht der Höhepunkt des Albums. Ich bin kein Freund von diesen Selbstbelobungsliedern. Der Refrain geht aber doch ins Ohr.
5) Ich bin verliebt in meine Sekretärin
Wird auch nicht in die Annalen der großen RM-Liebeslieder eingehen, hat aber eine sehr schöne Melodie (ich bin im Wiedererkennen nicht so gut wie andere, deshalb stör ich mich auch nicht so dran, wenn sich was wiederholt). Es geht.
6) Drei Kisten Kindheit
Jetzt beginnt ein ganz toller Block auf dem Album. Ein sehr schönes, wehmütiges Lied, an dem mich die Lehrerschelte auch gar nicht stört.
7) Drei Jahre und ein Tag
Mey wie ich ihn mag. Der große historische Bogen in die heutige Zeit. Ein abseitiges Thema klasse umgesetzt.
8) Danke liebe gute Fee
Gott sei Dank, der Mey kann lästern und sich endlich mal wieder ein paar Frauen zum Feind machen. Diese ewige Frauenversteherei in den letzten Jahren ("Ich war der erste Feminist") war ja nicht mehr auszuhalten.
Aber nicht nur deshalb gefällt mir das Lied. Die ganze Strecke über witzig aber trotzdem noch mit genug Luft für eine Pointe zum Schluss und wie so vieles von ihm sehr wahr.
9) Ich brauche einen Sommelier
Auch das eine hübsche Idee, vor allem der Schlemihl mit der fast neuen Acht gefällt mir.
10) Friedrichstraße
Er muss die Geschichte ein bisschen rumbiegen, denn nach Kaiser Wilhelm hätte man bestimmt keine "Friedrichstraße" benannt, auch wenn er mit zweitem Namen so hieß. Und der Kaiser mit dem langen Bart war nicht der aus dem Weltkrieg, der sich nach Holland abgesetzt hat. Aber da sehen wir mal drüber weg. Ich find das Lied einmnal mehr sehr gut. Es ist kritisch aber nicht ohne Witz. Und musikalisch finde ich generell, dass auf dem ganzen Album kein Ausreißer nach unten dabei ist (auch keiner nach oben, aber das macht nichts).
11) Kai
Auch das ein großes Lied mit mehr Aktualität als wir dachten. Aber zwei Kritikpunkte hab ich dran: Auf die letzte Strophe hätt ich verzichtet, sein Anliegen wird schon durch die Geschichte selbst deutlich, da hätte man den erhobenen Zeigefinger gar nicht mehr gebraucht meiner Meinung nach. Und dann stört mich etwas, dass Kais Flug Hilfsgüter geladen hatte. Das Bild wäre überzeugender gewesen, wenn RM den Einsatz als das benannt hätte, was es ist, nämlich ein Kriegseinsatz. So fällt er selbst auf die Propaganda rein, dass die Soldaten da doch nur helfen wollten. So passt sein Protest in der letzten Strophe nicht ganz mit der Geschichte zusammen (wer wollte etwas gegen humanitäre Hilfe haben).
12) Große Schwester
Stimmt schon, es klingt ein bisschen nach einem selbst gestellten Auftrag. Aber auch hier hab ich gar nichts zu meckern. Ich habe keine große Schwester, aber so ähnlich hätte ich es mir auch vorgestellt oder gewünscht.
13) Schraders Filmpalast
Auch das ist wieder eins von seinen schönen melancholischen Schlussliedern, die ich so gern mag. Vielleicht kein "Viertel vor sieben" und es stellt sich schon die Frage, warum man vergammelte alte Kinos denn unbedingt noch im Stadtbild belassen sollte, aber prinzipiell hat er natürlich recht. Ein schöner (erster) Abschluss.
14) Les temps des cerises
Was diese lange Pause soll, ist mir auch unverständlich. Darüber hinaus finde ich die Interpretation doch ein bisschen süßlich. Klar, es ist eigentlich ein Lied über die Liebe, aber es trägt doch den Schmerz, die Hoffnung und das Leid einer gescheiterten Revolution in sich. Das hätte man für meinen Geschmack mehr heraushören können, aber schön, dass es da ist, auch weil es zeigt, dass die Franzosen doch ein glückliches Volk sein müssen, wenn man eine solche heimliche Nationalhymne hat. So was haben wir gar nicht oder? Fällt jemandem was ein? Was ist denn 89 in Dresden und Leipzig gesungen worden?
Also mein Fazit: Ihr habt es sicher schon bemerkt, dass ich ziemlich angetan bin. Mir gefält es auch musikalisch gut, nicht so überladen. Textlich finde ich RM ist in Topform. Das Jahr Pause hat ihm wohl gut getan, obwohl er gerne den Takt wieder verkürzen kann. Aber wir werden ja alle nicht jünger, auch das zeigt das Album, aber manche werden mit dem Alter besser. :hutzieh:
Soweit die Meinung von
Michael