Xantippe schrieb:
Die Fernsehtechnik ist nicht imstande, in der kurzen Probenzeit vor und im Laufe der Sendung eine Tonqualität zu liefern, die auch einem nicht so anspruchsvollen Ohr gerecht wird, geschweige denn, eine Qualität zu gewährleisten, wie wir sie von den Künstlern gewohnt sind, die ja oft wochen- und monatelang im Studio gearbeitet haben.
Offen gestanden bezweifle ich das. Das Fernsehen wäre sehr wohl in der Lage, eine vernünftige Tonqualität zu liefern - das Equipment gäbe das meines Erachtens problemlos her. Eine kurze Tonprobe vor der eigentlichen Veranstaltung, bei der ein paar Takte gesungen werden, damit der Tontechniker zumindest ansatzweise weiß, was da auf ihn zukommt und dazu noch eine halbwegs qualifizierte Kraft am Regler, ein Künstler, der weiß, was er tut, am Mikro und schon steht einer ordentlichen Übertragung eigentlich nichts mehr im Wege. Eigentlich.
Ein Liedermacher könnte immer und überall zur Gitarre singen. Es wird aber meistens nicht gewünscht (vom Fernsehen). Darum gibt es eigentlich überall nur noch Vollplayback.
Das ist so ein zweischneidiges Schwert.
Einerseits gibt es Künstler, die nur ungerne live singen und sogar massivst das Playback fordern. Das muß nicht immer heißen, daß die Künstler die letzten Luschen sind. In einigen Fällen mag das zutreffen, aber eben nicht immer. Bei vielen Interpreten ist es ja auch so, daß sie eine so anstrengende Bühnenshow liefern, daß sie einfach nicht vernünftig singen können, weil sie ja schon mit dem Atmen kaum hinterherkommen
. Häufig kommt noch hinzu, daß Künstler sich nur dann in unmittelbarer Nähe eines Talkmasters aufhalten, wenn sie neben ihrer Meinung auch noch etwas Anderes zu propagieren haben, wie etwa ein neues Album, einen neuen Film, ein neues Buch oder sonstige Auswürfe. Hin und wieder sitzt der Text halt eben nicht so richtig - und sich ausgerechnet bei der Präsentation im Fernsehen (sprich: vor einem potentiellen Millionenpublikum) einen Hänger zu erlauben, kann sehr peinlich sein - Lampenfieber hin oder her. Ein Playback ist also für den Musiker grundsätzlich kein künstlerischer Sieg, aber zumindest eine vergleichsweise sichere Angelegenheit.
Andererseits ist es auch für das Live-Publikum und ebenso natürlich für die Tontechnik ein etwas leichteres Unterfangen, denn Instrumente können ebenfalls ein ziemlich ekliges Eigenleben entwickeln: Saiteninstrumente, die sich unter dem Einfluß der Scheinwerfer verstimmen, sind da noch das Geringste - auch die Tücken der Technik können da eiskalt zuschlagen ... vor allem beim Aufbau der Instrumente. Wer schon einmal auf einem Festival war, auf dem sich mehrere Künstler nacheinander die Klinke in die Hand gegeben haben, weiß, daß in der ca. halbstündigen Pause zwischen zwei Bands auch nicht alle Beteiligten im hintersten Winkel der Bühne sitzen, um sich mit ausgestreckten, übereinandergeschlagenen Beinen seelenruhig eine Hopfenkaltschale einzutrichtern. Da tuckern die Heinzelmännchen über die Bühne, koppeln gebrauchte Instrumente ab, schließen neue Instrumente an, stimmen die Dinger durch, testen in Zusammenarbeit mit den Technikern die Teile etc. - das dauert seine Zeit, das kostet Personal - und beides ist eher rar geworden. Da drückt man dem Künstler doch lieber eine Alibi-Ukulele in die Hand und dudelt im Hintergrund im Halbplayback-Verfahren das konservierte Orchesterarrangement ab.
Reinhard Mey traue ich es zu, daß er überhaupt keine Halbplayback-Medien seiner Stücke bei sich zu Hause rumfliegen hat, daher scheidet diese Möglichkeit aus und es muß gleich zum Vollplayback gegriffen werden
(wahrscheinlich fühlt er als Perfektionist sich auch in den Armen eines Vollplaybacks sicherer aufgehoben als in einer vergleichsweise unberechenbaren Situation).
Gruß
Skywise