Hallo
im Prévert-Thread fiel wieder einmal der Name Juliette Gréco aber allzuoft kam er noch nicht vor. Auf der AMIGA- LP aus den 60er Jahren steht ein sehr langer, aber aufschlussreicher Text. Habe ihn deshalb abgetipselt, denn ich glaube, da steht fast alles drin, was man zur Gréco wissen sollte:
Auf der Plattentasche der AMIGA-LP Juliette Gréco (840034), geschrieben von P.H.Hofmann:
Um diese Frau hat eine ganze Generation Legenden gewoben. Im Bemühen, ihre erregende Darstellungskunst zu erfassen, wurde sie voller Bewunderung "Schwarze Sonne" genannt. Man sprach von ihr als einer rätselhaften Sphinx, die der Bühne Licht und Glanz gibt. Hinter allem verbirgt sich eine der bemerkenswertesten Persönlichkeiten des französischen Chansons. Der Tradition gemäß waren und sind die Dichter, Komponisten, und Interpreten des französischen Chanson oft einunddieselbe Person: angefangen von Aristide Bruant bis Georges Brassens, Charles Trénet, Léo Ferré, Jaques Brel, Serge Gainsbourg und Charles Aznavour. Von ihnen unterscheidet sich Juliette Gréco, in dem sie nur interpretiert. Darin liegt ihre Begrenzung und ihre Größe.
Wie sie der Poesie von Text und Musik bis in die feinsten Verästelungen nachspürt, das ist faszinierend und zeugt von einer seltenen Begabung. Augen, die wie Feuer glühen, Hände, die bitten, flehen, drohen und abwehren - all das findet seinen vibrierenden Niederschlag in einer Stimme, die nicht nach den Maßstäben des italienischen Belcanto gewertet werden kann. Auch wer des Französischen nicht mächtig ist, spürt, wie diese Stimme lockt, wie sie schmeichelt und liebkost, um im nächsten Augenblick knallhart zu fordern, zu protestieren, Wer so wie Juliette Gréco "Sous le ciel de Paris" (Unter dem Himmel von Paris), "Les feuilles mortes" (Die toten Blätter) oder "L´âme des poètes" (Die Seele der Dichter) deuten kann, der muss aus eigenem Erleben schöpfen können. Juliette kann es. Der Titel der Autobiografie "In bin, wie ich bin" verweist darauf, wieviel eigenes Erleben in ihren Vorträgen mitschwingt.
Juliette Gréco, geboren am 7. Februar 1927, war sieben Jahre alt, als ihre korsischen Eltern von ihrer Geburtsstadt Montpellier über Bordeaux nach Paris zogen. Mitten im Kriege - Juliette hatte gerade ihren fünfzehnten Geburtstag hinter sich - wurden ihre Eltern und die ältere Schwester Charlotte von den Faschisten nach Deutschland deportiert. Sie selbst kam wegen Teilnahme an der Résistance ins Gefängnis. Als Juliette später wieder auf der Straße stand, besaß sie nicht mehr als eine Karte für die Metro. Bei Freunden ihrer Familie fand sie Unterschlupf. In dem Chanson "Coin de rue" von Charles Trénet widerspiegelt sich diese Zeit: Ich sehe meine Straße, meine Liebe, meine Kindheit. Sie sind verschwunden, so wie meine fünfzehn Jahre."
Schauspielunterricht, Engagements als Statistin sowie eine Hauptrolle in der Komödie "Victor - oder die Kinder an der Macht" von Roger Vitrac (1945) verweisen auf ihre erwachende Theaterleidenschaft. Ihren Lebensunterhalt verdiente sich Juliette vorübergehend mit Rundfunksendungen über moderne französische Schriftsteller. Zur gleichen Zeit lernte die Künstlerwelt des linken Seine-Ufers das schüchterne 19jährige Mädchen kennen. In der "Grünen Bar", im "Tabu", dann im Klub "Saint-Germain-des Prés", in der "Rose Rouge" und im Boeuf sur le toit" diskutierte sie nächtelang mit Philosophen, Schriftstellern, Malern, Theater- und Filmleuten. Hier wurde sie bekannt mit Jacques Prévert, Léo Ferré, Jean-Paul Satre, Françoise Sagan, Jean Marais und Simone Signoret. Gab es im Klub "St. Germain" einen Jazzabend, war Juliette dabei. Wenn sie Charlie Parker, Coleman Hawkins oder Max Roach hören konnte, war sie glücklich. Schüchtern mischte sich in diesen verwirrenden Wettstreit der Musen ihre dunkle, geschmeidige Stimme.
Anfänglich überwogen Chansons von Kosma und Prévert; andere kamen hinzu, ergaben allmählich ein Repertoire. Bald kannte "St. Germain" den "schlanken schwarzen Fisch". Touristen aus Paris, aus ganz Frankreich kamen, um am linken Ufer der Seine Juliette Gréco zu erleben. Was folgte, gleicht einer Chronik: 1952 eine Tournee durch Brasilien und Juliettes erster Film "Quand tu liras cett lettre". Schallplatten, Rundfunkaufnahmen, Bühnenauftritte, Tourneen in die Schweiz, nach Italien, Südamerika, Japan und Filme ...
Das bedeutendste Ereignis für Juliette Gréco war aber 1954 die Geburt ihrer Tochter Laurence-Marie aus der dreijährigen Ehe mit Philippe Lemaire.
Ist Juliette zu ernst, zu kompliziert, singt sie zuviel von enttäuschter Liebe, gehört sie wirklich zu jenem Typ "Bonjour tristesse"? Nein! Sie selbst hat es widerlegt: "Ich mache mir keine Illusionen, aber ich liebe das Leben, die Liebe und unsere Zeit ..." Und so singt sie für und das berühmte "Parlez-moi d´amour" von J. Lenoir und "La mer" von Charles Trénet. Sinn für die Schönheiten dieser Welt spricht aus den poetischen Versen von Jacques Prévert, dem Lyriker, Kinderbuch- und Filmautor, der sich für die Rechte der Unterdrückten, gegen Krieg und Faschismus einsetzt. Als Komponist gehört Joseph Kosma mit zu den bedeutendsten. Ende der 20er Jahre aus Ungarn nach Berlin kommend, schloss er sich hier dem fortschrittlichen Kreis um Hanns Eisler an. 1933 emigrierte er nach Paris, wo er noch heute lebt*(Sein szenischen Oratorium "Die Weber von Lyon") erlebte 1959 in der Deutschen Staatsoper seine Uraufführung.)
Die vorliegende Zusammenstellung vermittelt somit nicht nur das Erlebnis einer ausdrucksvollen Stimme, sie macht uns zugleich mit bekannten Komponisten und Textautoren des französischen Chansons vertraut. Alles in allem: ein Griff in den Reichtum französischer Chansonkunst.
* Kosma starb 1969