Einheitsbrei im Radio
Verfasst: Fr 9. Sep 2005, 20:19
Folgenden Zeitungsartikel fand ich vor einer Weile im Pressespiegel meines Arbeitgebers und habe ihn mal runtergetippt. Er ist zwar schon vier Wochen alt, aber deshalb nicht weniger interessant. Zumal er eine von vielen Antworten darauf geben kann, warum's die Liedermacher hierzulande so schwer haben.
Berliner Zeitung vom 09.08.2005, Seite 26
Wie kommt es eigentlich, dass in allen Radioprogrammen die selben Titel laufen?
Es gibt wohl nur wenige Menschen, die regelmäßig von Flensburg nach Garmisch-Partenkirchen fahren. Dennoch spielt diese Strecke eine nicht unbedeutende Rolle, wenn sich die Diskussion um die musikalische Vielfalt beziehungsweise Einfalt in der deutschen Radiolandschaft dreht. Wer von Flensburg nach Garmisch reist, bekommt zwar viele Sender zu hören, aber immer wieder das selbe Musikprogramm. Aktuelle Hits, nicht tot zu kriegende Evergreens, Mainstream - das ist der Standard im Bundesgebiet. Wie aber kommt es zu der weit verbreiteten Auffassung, daß dieser Einheitsbrei besonders schmackhaft ist?
Schuld sind mal wieder die Amerikaner. Anfang der 50er-Jahre begann eine Radiostation in Omaha, nur noch wenige angesagte Songs zu spielen. Die Hörer reagierten dermaßen entzückt auf diese Selbstbeschränkung, daß immer mehr Sender dem Beispiel folgten. Ohne mit der Wimper zu zucken, reduzierten einige Radiomacher ihre Playlist auf 40 Titel plus ein paar Hits.
150 Titel am Tag
Mittlerweile sind mehr als 50 Jahre vergangen, und bei vielen deutschen Radiosendern sind es immerhin zwischen 150 und 350 Titel, mit denen das Tagesprogramm bestritten wird. Der Zufall wird bei der Zusammenstellung dieser Playlists kategorisch ausgeschlossen. Grundregel 1: Weil die durchschnittliche Verweildauer bei einem Sender lediglich 20 Minuten beträgt, muß in dieser Zeit jedes Genre durchgenudelt werden, mit dem die Radiostation auf Hörerfang geht. Zwei Balladen hintereinander? Zu viele Sängerinnen in zu kurzer Zeit? Mensch und Computer wissen das zu verhindern. Der Begriff "Formatradio" kommt eben nicht daher, daß der Sender Format hat, sondern von dem Wort "formatieren".
Wie aber schafft es ein Titel auf die Playlist? Eine zentrale Rolle spielen dabei die Hörerbefragungen. Mindestens monatlich fragen die Radiomacher ausgewählte Zuhörer, welche Songs sie mögen und welche nicht. Heben nur drei von zehn Leuten anerkennend den Daumen, landet das Lied auch schon im Archiv. Ein entscheidendes Kriterium ist zudem die Frage: Was spielen die anderen? Es soll Sender geben, die ihren Mitarbeitern Bleistift und Papier in die Hand drücken und sie auffordern, dem Konkurrenzprogramm zu lauschen. Einfacher ist der Blick auf die Charts, die von der Firma Nielsen Music Control Woche für Woche ermittelt werden. Ausgewertet wird vollautomatisch das Programm von 113 Mainstream-Sendern, von denen 76 für die Chartliste berücksichtigt werden. Welche das sind, bestimmt ein Gremium aus Vertretern der Plattenindustrie.
Nur die Top 100
Bewertet werden die registrierten Songs nach einem Punktsystem, das aktuelle Songs bevorzugt. Um in die Top 10 zu kommen, muß ein Titel zwischen 500 und 600 Mal pro Tag gespielt werden. Bei 76 berücksichtigten Sendern kann sich jeder ausrechnen, wie oft ein und derselbe Titel bei und derselben Station läuft. Zudem gilt: Je schneller ein Song in den Charts vorrückt, desto mehr Sender kommen auf die Idee, das Liedchen in ihr Repertoire aufzunehmen. Es gibt sogar Radios, die grundsätzlich nur das spielen, was bereits in den Top 100 gelandet ist. Auf diese Weise potenziert sich das Einerlei. Der derzeitige Spitzenreiter ist übrigens Daniel Powter mit "Bad Day" - bereits seit Wochen. Das heißt: Man muß noch nicht mal von Flensburg nach Garmisch fahren, um auf diesen Song allergisch zu reagieren.
(Marcus Bäcker)
Grüße vom Rhein
Tina
Berliner Zeitung vom 09.08.2005, Seite 26
Wie kommt es eigentlich, dass in allen Radioprogrammen die selben Titel laufen?
Es gibt wohl nur wenige Menschen, die regelmäßig von Flensburg nach Garmisch-Partenkirchen fahren. Dennoch spielt diese Strecke eine nicht unbedeutende Rolle, wenn sich die Diskussion um die musikalische Vielfalt beziehungsweise Einfalt in der deutschen Radiolandschaft dreht. Wer von Flensburg nach Garmisch reist, bekommt zwar viele Sender zu hören, aber immer wieder das selbe Musikprogramm. Aktuelle Hits, nicht tot zu kriegende Evergreens, Mainstream - das ist der Standard im Bundesgebiet. Wie aber kommt es zu der weit verbreiteten Auffassung, daß dieser Einheitsbrei besonders schmackhaft ist?
Schuld sind mal wieder die Amerikaner. Anfang der 50er-Jahre begann eine Radiostation in Omaha, nur noch wenige angesagte Songs zu spielen. Die Hörer reagierten dermaßen entzückt auf diese Selbstbeschränkung, daß immer mehr Sender dem Beispiel folgten. Ohne mit der Wimper zu zucken, reduzierten einige Radiomacher ihre Playlist auf 40 Titel plus ein paar Hits.
150 Titel am Tag
Mittlerweile sind mehr als 50 Jahre vergangen, und bei vielen deutschen Radiosendern sind es immerhin zwischen 150 und 350 Titel, mit denen das Tagesprogramm bestritten wird. Der Zufall wird bei der Zusammenstellung dieser Playlists kategorisch ausgeschlossen. Grundregel 1: Weil die durchschnittliche Verweildauer bei einem Sender lediglich 20 Minuten beträgt, muß in dieser Zeit jedes Genre durchgenudelt werden, mit dem die Radiostation auf Hörerfang geht. Zwei Balladen hintereinander? Zu viele Sängerinnen in zu kurzer Zeit? Mensch und Computer wissen das zu verhindern. Der Begriff "Formatradio" kommt eben nicht daher, daß der Sender Format hat, sondern von dem Wort "formatieren".
Wie aber schafft es ein Titel auf die Playlist? Eine zentrale Rolle spielen dabei die Hörerbefragungen. Mindestens monatlich fragen die Radiomacher ausgewählte Zuhörer, welche Songs sie mögen und welche nicht. Heben nur drei von zehn Leuten anerkennend den Daumen, landet das Lied auch schon im Archiv. Ein entscheidendes Kriterium ist zudem die Frage: Was spielen die anderen? Es soll Sender geben, die ihren Mitarbeitern Bleistift und Papier in die Hand drücken und sie auffordern, dem Konkurrenzprogramm zu lauschen. Einfacher ist der Blick auf die Charts, die von der Firma Nielsen Music Control Woche für Woche ermittelt werden. Ausgewertet wird vollautomatisch das Programm von 113 Mainstream-Sendern, von denen 76 für die Chartliste berücksichtigt werden. Welche das sind, bestimmt ein Gremium aus Vertretern der Plattenindustrie.
Nur die Top 100
Bewertet werden die registrierten Songs nach einem Punktsystem, das aktuelle Songs bevorzugt. Um in die Top 10 zu kommen, muß ein Titel zwischen 500 und 600 Mal pro Tag gespielt werden. Bei 76 berücksichtigten Sendern kann sich jeder ausrechnen, wie oft ein und derselbe Titel bei und derselben Station läuft. Zudem gilt: Je schneller ein Song in den Charts vorrückt, desto mehr Sender kommen auf die Idee, das Liedchen in ihr Repertoire aufzunehmen. Es gibt sogar Radios, die grundsätzlich nur das spielen, was bereits in den Top 100 gelandet ist. Auf diese Weise potenziert sich das Einerlei. Der derzeitige Spitzenreiter ist übrigens Daniel Powter mit "Bad Day" - bereits seit Wochen. Das heißt: Man muß noch nicht mal von Flensburg nach Garmisch fahren, um auf diesen Song allergisch zu reagieren.
(Marcus Bäcker)
Grüße vom Rhein
Tina