Hallo an alle,
wenn ich mich so durch dieses Forum durchtanke, fällt mir auf, dass Reinhard Mey doch eine große Rolle hier spielt. Also nehme ich mir gerne ein wenig Zeit, Euch zu schreiben, welche Rolle dieser Künstler in meinem Leben früher gespielt hat und welche er heute noch spielt.
In den 60er und 70er Jahren fanden Liedermacher im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirklich noch ganz anders statt. Sie waren dort sehr präsent. Diese Jahre waren von einer Aufbruchgeneration geprägt, von der ich, man mag es mir nachsehen, heute mehr die gefahrenen Stadtpanzer als die Suche nach einer gerechteren Welt wahrnehme. Der Oberbegriff waren die "sozialkritischen" Lieder. Hans Dieter Hüsch hat sich übrigens schon damals über die Liedermacherszene, der er ja selbst angehörte, lustig gemacht ("Und ich mach, damit es sich reimt, dummes Zeuch"). Hier der Link zum Text, über den ich mich damals köstlich amüsiert habe.
Und ich mach dummes Zeug (Hanns Dieter Hüsch
Das erste Lied, das ich von Reinhard Mey wahrnahm, war: "Ankomme Freitag den 13.", das ich gefühlt nach dem 2. Mal hören, bereits auswendig konnte. Ich bin mit Gedichten von Wilhelm Busch, Heinz Erhardt, James Krüss usw. groß geworden und solche Texte blieben bei mir schnell hängen. Noch schneller ging es bei mir allerdings mit der "Diplomatenjagd". Noch heute habe ich Flashbacks mit spontanen Lachattacken bei Textpassagen wie "Bewegt sich dort etwas am Waldesrand, der Ahnherr sieht nicht mehr recht, das kriegt kurzerhand eins übergebrannt, denn schießen kann er nicht schlecht"! Lieder wie "Der Mörder war immer der Gärtner" oder "Die heiße Schlacht am kalten Buffet" waren auch beim allgemeinen Publikum angekommen.
Damals kratzte ich das wenige Geld, das ich hatte, zusammen um mir eine Konzertkarte für Reinhard Mey zu kaufen. Drei LPs nannte ich dann im Laufe der Jahre mein eigen. Der Höhepunkt aus meiner Sicht war dann das Lied "Über den Wolken", das man im Radio durchaus als Hit wahrnehmen konnte. Danach wurde Reinhard Mey nach meiner Wahrnehmung eher zum Nischenkünstler. Ich selbst fuhr damals mehr auf Pink Floyd, Deep Purple, The Doors, King Crimson usw. ab. Zwei Ausnahmen in dieser Reihe gab es allerdings, und das waren Bob Dylan und Leonard Cohen, wobei Leonard Cohen mir als Mensch immer mehr lag als Bob Dylan. Sehr habe ich mich aber über Dylans Literaturnobelpreis gefreut und das Leben von Cohen habe ich bis zu seinem Tod aufmerksam verfolgt.
Reinhard Mey verschwand dann aber doch ein wenig aus meinem Blickfeld. Aufmerksamkeit erregten bei mir viel später dann Sätze wie: "Einer mäht immer den Rasen" oder Lieder wie: "Männer im Baumarkt" und insbesondere "Nein, meine Söhne geb' ich nicht"! Sein diesbezügliches Engagement mit vielen anderen bekannten Künstlern zusammen, fanden bei mir, einem Wehrdienstverweigerer von 1971 wieder zustimmende Wahrnehmung.
Auch ich habe eine tiefe Friedenssehnsucht, hatte aber auch schon wenige Jahre nach meiner Wehrdienstverweigerung Zweifel daran, ob man ein Monster wie Adolf Hitler wirklich anders hätte stoppen können, als mit Waffengewalt! Putin gehört für mich in die gleiche Kategorie. Einem Land wie der Ukraine muss man, aus meiner Sicht, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln helfen. Ich habe bei Syrien (leider) noch einen etwas anderen Blick auf die Dinge gehabt, weil ja auch die Rebellengruppen, die gegen Assat kämpften, nicht nur hehre Ziele verfolgten. Mir war damals noch nicht so klar, dass Putin da schon mal für den Kampf gegen die Ukraine "geübt" hatte. In dieser Zeit habe ich mein Lied "Es geht mir gut wie nie" geschrieben, das sich mit meiner gefühlten Hilflosigkeit damals beschäftigte.
Hier setzte für mich eine tiefe Enttäuschung über Reinhard Mey ein! Schon vom ersten "Offenen Brief", den er mit unterzeichnete, war ich enttäuscht. Wie man sich aber mit einer Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht gemein machen kann, ist mir bis heute nicht zugänglich.
Mein Fazit: Lieder wie "99 Luftballons" von Nena oder so viele scharfsinnige Lieder von Reinhard Mey werden die Zeit wohl überdauern, mit den Künstlern habe ich aber eben doch so meine Probleme.
Liebe Grüße aus Hamburg
martin coulmann