derBarde schrieb:
und wenn es noch so unbequem klingt, aber Sarazin hat mit seiner Äußerung nicht nur Unrecht.
Hat er auch nicht.
Allerdings muß man erstens das komplette Interview lesen, um ihn eben nicht als das "Monster" zu sehen, als das er in den ach! so lieb gewonnenen Medien hingestellt wird, und zweitens gehe ich mit dem geschätzten Ex-Bundeskanzler Schmidt insofern konform, als sich Sarrazin bei all seiner berechtigten Kritik durchaus etwas tischfeiner hätte ausdrücken können. Das meiste Tschingderassabumm ging aufgrund der Wortwahl durch die Medien, die Aussagen dagegen haben nur wenige kritisiert. Interessanterweise haben sich meistens diejenigen zu Wort gemeldet, die dazu überhaupt nichts hätten sagen müssen. Und wenn sie sich dazu geäußert haben, dann mit der völlig falschen Strategie.
Sarrazin halte ich für gar nicht so dumm und seine Aussagen nicht für grundsätzlich falsch, allerdings hat er das Problem (und das nicht erst seit heute), daß seine Zunge häufig schneller ist als sein Sprachzentrum, Sektion Fingerspitzengefühl.
Was tolererieren wir den mehr?
Fremde Kulturen oder die Unterdrückung von Frauenrechten und Selbstbestimmung?
Bei dieser ganzen Kopfttuchdiskussion wird immer über Religions- und Kultur bzw. Traditionsfreiheit geredet, nie aber über die Mädchen und Frauen, die von klein auf als sogenannte Ehrenträger, also Eigentümer der Männlichkeit, behandelt werden. Mädchen, denen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, das für uns völlig nornal ist (freie Wahl des sozialen Umgangs wie Freunde und Freundinnen, sexuelle Entwicklung und Unterricht, Sprache, Ausbildung, Religion, Freizeitvergnügen wie Disco und Freibad und nicht zuletzt Wahl des Lebenspartners) von ihren Familien verwehrt wird.
Emanzipation dürfen wir fordern, aber bitte nicht von Menschen mit Migrationshintergrund, schließlich haben wir 12 Jahr Faschismus hinter uns, und davon müssen wir uns schon abgrenzen, notfalls auch unter Selbstaufgabe unserer eigenen Werte und Errungenschaften.
Nun ja ... wie würde sich ein Deutscher/eine Deutschin, der/die in die Türkei zieht, seinem/ihrem weiblichen Nachwuchs gegenüber verhalten? Freie Wahl des sozialen Umgangs einschränken? Beim nächsten Mullah anfrgen, an wen er seine Kinder verschachern kann, sobald diese reif für eine Ehe sind? Kopftuch verschreiben (ungeachtet dessen, daß auch in der Türkei zumindest in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden und selbst auf den Straßen vor denselben ein Kopftuchverbot herrscht)? Hm.
Wie dem auch sei - wenn man sich das Interview mit Sarrazin durchliest, wird einem (hoffentlich) klar, daß seine Kritik in mehrere Richtungen zielt, nicht nur in die der Türken und Araber, die nach Ansicht von Herrn Sarrazin im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen selbst in der dritten Generation einen Integrationswillen oder sogar die Integrationsfähigkeit vermissen lassen, sondern vor allem auch in die eines Sozialsystems, wahrscheinlich sogar einer Gesellschaft, das/die diesen Mißstand schlicht und ergreifend hinnimmt, bzw. zuläßt, daß sich dieser verschlimmert, indem man dem Zuzug dieser Bevölkerungsgruppen keinen Riegel vorschiebt oder den Druck auf sie vergrößert, um den Integrationswillen zu fördern. Man kann es natürlich sehen, wie man will, allerdings ist es ganz bestimmt nicht falsch, zunächst einmal ein Problem zu lösen oder entsprechende Konzepte zu entwickeln, ehe man weiteren potentiellen Problemen ähnlicher Art Tür und Tor öffnet. Müssen ja nicht die drastischen Maßnahmen von Herrn Sarrazin sein, selbst wenn sie zugegebenermaßen eine Lösungsmöglichkeit darstellen.
Wohlgemerkt - Sarrazins Kritik richtet sich nicht gegen Migranten im allgemeinen. Ganz im Gegenteil sogar - er nennt auch viele Migrantengruppen, bei denen die Integration überhaupt kein oder nur ein geringes Problem darstellt (pauschal betrachtet selbstverständlich) und bei denen nach zwei oder drei Generationen die Kinder in Sachen Bildung und schulische Erfolge sogar den deutschen etwas vormachen (wahrscheinlich statistisch betrachtet).
Unter "Integration" versteht Sarrazin auch nicht, wie der vielfach zitierte Begriff "Kopftuchmädchen" einem weismachen will, den Verzicht oder den Verbot des Kopftuchs. Auch gegen den Islam an sich äußert sich Sarrazin nicht, fordert also kein Religionsverbot, Verbot von Traditionen etc., sondern die Bereitschaft, die deutsche Sprache zu lernen, sich in die Gesellschaft einzubringen (statt sie nur zu vergrößern) etc.
Die von Sarrazin angesprochenen Probleme sind nun keineswegs neu. Liedermacher-Referenz an dieser Stelle (wir wissen ja, wo wir uns befinden
) sei der türkische Rock-Musiker Cem Karaca, der gemeinsam mit seiner Band, den "Kanaken", vor 25 Jahren ein gleichnamiges deutschsprachiges Album eingespielt und bei pläne veröffentlicht hat, das leider (!) nicht auf CD vorliegt und daher seit längerem vergriffen ist:
Auf diesem Album wird bereits die Kluft zwischen Deutschen und türkischen Gastarbeitern (damals hießen die Leute noch so) deutlich beschrieben und angeprangert, wobei das Album naturgemäß einen etwas (nicht völlig!) anderen Blickwinkel aufweist, indem es den Schwerpunkt darauf legt, daß den Menschen keine Chance zur Integration eingeräumt wird, was bestimmt auch richtig, wenn auch sicher nicht die ganze Wahrheit ist (ebenso wenig wie die Äußerungen von Sarrazin).
Gruß
Skywise