Seite 1 von 1

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Mi 27. Jul 2011, 13:06
von Benutzer 141 gelöscht
Ich habe mir die Freiheit genommen, bezüglich des Themas "Armut" einen eigenen Thread zu eröffnen, weil hier eine Nebendiskussion im Thread von Klajokas (Norwegen) entstanden ist, die zu einer Vermischung von doch sehr unterschiedlichen Themen geführt hat. Falls die Mehrheit der Meinung sein sollte, dass dies im Ursprungsthread behandelt werden soll, bitte ich die Moderatoren um Verschiebung dieses Beitrages -- und den Rest der Welt um Verzeihung. :-)
Die "Nebendiskussion" hat hier den Anfang gefunden:
[http://www.liedermacher-forum.de/module ... mpost31002]

Lieber Carsten,
aufgrund einer Randbemerkung von mir hast Du sehr ausführlich und interessant Deine Meinungen zum Thema Armut in Deutschland geäußert. Da ich dies aber nicht einfach nur so unüberlegt dahergesagt (-geschrieben) habe, möchte ich genauso ausführlich darauf eingehen.
Du kennst vielleicht den Satz "Ich bin nur verantwortlich für das, was ich sage, nicht für das, was du verstehst." In diesem Sinne fühle ich mich falsch interpretiert.
Den Satz: "Hier wird auf hohem Niveau gejammert", möchte ich nicht zurückziehen, sondern argumentativ begründen. Vielleicht benutzen auch Menschen und Gruppen diese Worte, mit denen ich nichts zu tun habe oder zu tun haben will. Aber eine unangenehme Tatsache wird nicht automatisch dadurch widerlegt, dass Idioten sie ebenfalls aussprechen oder ähnliche Formulierungen benutzen. Abgesehen davon können aus einer Meinung, die ich mir übrigens selbstständig gebildet habe, auch ganz andere Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen entstehen. Das Querdenken habe ich mir vielleicht auch deshalb angewöhnt, weil ich in meiner Kindheit mit zwei absolut unumstößlichen "Wahrheiten" konfrontiert worden bin: 1. Der liebe Gott weiß alles, sieht alles und bestraft alles - die katholische Kirche und ihre Mitarbeiter sind hierbei die Polizei und Vollstrecker des göttlichen Willens - die kirchlichen Lehren sind daher auch als absolut richtig zu betrachten. 2. In politischen Dingen ist das Pendant dafür die CDU, und die Politik der Schwarzen ist das nicht zu kritisierende Non-Plus-Ultra.
Dies alles konnte ich dann ablegen, weil ich gelernt habe, solche "unfehlbaren" Wahrheiten kritisch zu hinterfragen. Gleichzeitig habe ich mir aber auch eine Autonomie erarbeitet, die es mir verbietet, mich vorbehaltlos hundertprozentig einem Lager oder einer politischen Richtung anzuschließen. Daher ist es für mich in erster Linie irrelevant, ob meine Meinung populär ist oder nicht (und setze mich auf mein Achtel Lorbeerblatt). Warum sollte ich die eine reine Lehre durch die andere reine Lehre ersetzen? Dies überlasse ich den Marxisten, Kommunisten und deren Vertreter bei den Linken.
Meinungen gehören immer auf den Prüfstand und bevor ich vorschnell etwas von mir gebe, möchte ich mich gründlich informieren und mich selbst auch in meiner Meinung kritisch hinterfragen. In diesem Sinne sind mir die Meinungsmacher von Gruppierungen und Parteien oft zuwider, wenn sie am extremen Rand positioniert sind. Und dies egal ob sie von der CDU, FDP, SPD, den Grünen oder von der Linken kommen. Ach, die Kirche hatte ich ja noch vergessen. :-) Und trotzdem: Kein Mensch labert immer nur Mist und manchmal sagt selbst ein Guido Westerwelle vernünftige Sachen (soll schon mal vorgekommen sein).

Ok, den letzten Satz dürft ihr streichen - war nur Satire :-D :-D :-D

Zum Thema:
Es stimmt: oft vergleiche ich unsere gesellschaftlichen Umstände mit denen in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten. Und mein Selbstmitleidspegel sinkt wirklich, wenn ich mir bewusst mache, dass ich durch meine Herkunft in einem der reichsten Länder der Welt privilegiert bin. Es ist legitim und sogar geboten sich diesen Umstand immer wieder bewusst zu machen. Ja, man darf (und sollte meiner Meinung nach) unterschiedliche Gesellschaften und Länder auch vergleichen und daraus seine Schlüsse ziehen. Uns beneiden ein paar Milliarden Menschen um sauberes Wasser, ausreichende Nahrung, eine gute Gesundheitsversorgung und eine funktionierende Demokratie.
Es ist aber absolut nicht stimmig, wenn meine Äußerung derart interpretiert wird, dass mir soziale Ungerechtigkeiten in unserem Land egal sind, bzw. dass ich sie gar nicht wahrnehme.
Grundsätzlich halte ich aber die offizielle Definition des Armutsbegriffes für total hirnrissig. Als arm gilt man in der EU, wenn man mit weniger als 60% des mittleren Einkommens auskommen muss. Aber! - unabhängig davon, wie hoch das mittlere Einkommen ist. Dies würde im Gedankenspiel zu folgender Skurrilität führen: Wenn das Durchschnittseinkommen aller so ansteigen würde, dass jeder, der heute als "arm" gilt, plötzlich so viel hat, wie heute der Durchschnittsverdiener, würde er immer noch als arm gelten, da der Durchschnittsverdiener ja nun auch noch mehr hat und die relative Differenz immer noch gegeben ist. In der ehemaligen DDR ist der Effekt sehr gut zu beobachten: Im Gegensatz zu früher sind die meisten Menschen dort heute besser versorgt, selbst wenn Sie Sozialleistungen beziehen. Da es aber den relativen Vergleich zu den anderen gibt, die nun deutlich mehr haben, sind viele "arm" im Sinne der EU-Definition (man könnte auch sagen, sie wurden "arm-definiert"). Der Mensch vergleicht sich und seine Lebenssituation ständig mit denen seiner Mitmenschen. Unzufriedenheit ensteht durch Wahrnehmung und Bewertung dieser Wahrnehmung.

Hiermit sei die offizielle Diskussion eröffnet, wie andere "Armut" definieren. Seid ihr mehrheitlich der Meinung, dass die "60%-unter-dem-Durchschnittseinkommen" die richtige Definition ist oder habt ihr andere Vorschläge, auf die ich sehr gespannt bin! Vielleicht kann ich mich dann auch mit der einen oder anderen Definition solidarisch erklären, weil ich sie toll finde. ;-)
Dazuhin kommt natürlich noch die rein philosophische Frage, ob "Armut" nur durch die An- oder Abwesenheit von finanziellen Mitteln definiert sein soll. Dies nur als Randbemerkung.
Um Dir jetzt noch die Angst zu nehmen, dass ich evtl. ins reaktionäre Lager abgedriftet sein könnte :-), noch folgende Anmerkungen:
1. Es ist meiner Meinung nach eine Schande, dass es in Deutschland keinen flächendeckenden Mindestlohn für alle Branchen gibt. Das Geschrei der Manager, die die wirtschaftliche Apokalypse herannahen sehen, wenn dies umgesetzt werden würde, ist einfach nur lächerlich.
2. Die Zeitarbeitsbranche wird noch viel zu wenig kontrolliert. Es gibt zwar schon einige sinnvolle Regelungen, die aber meist unterlaufen werden. Dies ist eine moderne Mafia, die in die Schranken gewiesen werden muss.
3. Die Idee des Grundeinkommens ist ein sehr guter Ansatz. Ob es letztendlich "bedingungslos" oder verbunden mit Arbeitszwang sein soll, sollte von der Gesellschaft entschieden werden. Selbst die FDP (oh, Wunder), ist hier progressiv geworden und hatte in den Koalitionsverhandlungen den Wunsch nach dem Grundeinkommen geäußert (was aber leider von der CDU abgeschmettert wurde - so revolutionär sind die nicht).
4. Eine der wichtigsten sozialstaatlichen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte war die Einführung des BAFÖG. Diese Förderung darf nicht angetastet werden. Genauso wenig ist es gerechtfertigt, durch Studiengebühren wieder eine soziale Selektion zu betreiben ("Papa hat die Kohle, also kann ich studieren.").
5. Das Steuerrecht darf es den Unternehmen nicht ermöglichen, sich durch Abschreibungskonstrukte arm zu rechnen. Wenn es möglich ist, die Kosten einer Produktionsverlagerung ins Ausland auch noch von der Steuer abzusetzen, läuft etwas gewaltig schief in unserem Land.
6. Natürlich ist es ungerecht, wenn ich trotz Arbeit noch auf Sozialleistungen angewiesen bin. In dem Zusammenhang kommt mir immer das Thema Zeitarbeit und damit gleichzeitig die Galle hoch.
Und jetzt kommen wieder ein paar Meinungen, die hier vermutlich keinen Popularitätspreis erringen:
1. Migranteneltern müssen verpflichtet werden, ihre Kinder in den Kindergarten zu schicken. Deren Kinder müssen zum Schuleintritt die deutsche Sprache beherrschen und notfalls, um dies zu gewährleisten, Sprachförderung bekommen. Die Beherrschung der Sprache ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um in der Gesellschaft gute Startchancen zu haben. Ansonsten droht - vermeidbare - Armut.
2. Die Förderung von Kindern aus sozialschwachen Familien muss sehr früh und kostenlos erfolgen. Wenn die Eltern nicht mitziehen, ist auch Druck notwendig, was leider meist nur wirkt, wenn der Geldzufluss zwangsweise beschränkt wird.
3. Das Gesundheitssystem ist auch durch zivilisationsbedingte Krankheiten übermäßig belastet. Wenn das Sozialversicherungssystem als Reparaturbetrieb verstanden wird, der mir alle meine Krankheiten wieder beseitigt, selbst wenn ich sie durch Rauchen, Übergewicht, Alkoholmissbrauch o. ä. selbst verursacht habe, verhalte ich mich asozial im Sinne des Wortes. Hier müssen Regelungen gefunden werden, die verhindern, dass alle die Unvernunft von Einzelnen mitfinanzieren müssen, oder im schlimmsten Falle nach dem Rasenmäherprinzip gekürzt wird und die unverschuldet Krankgewordenen ihre Behandlung nicht mehr oder nicht mehr vollständig finanziert bekommen.
4. Das förderale Bildungssystem gehört abgeschafft, weil jedes Bundesland vor sich hin wurstelt. Die Bildungspolitik in Deutschland ist eine Katastrophe und gehört dringendst reformiert. In unserem Freundeskreis sind einige Lehrer, die alle das mangelnde Bildungsniveau und die Unstrukturiertheit im Bildungssystem massiv kritisieren. Eine gute Bildung ist auch ein "Grundnahrungsmittel" gegen Armut. Der verständliche Wunsch, jedem Jugendlichen einen Schulabschluss zu ermöglichen, sollte aber keinesfalls dazu führen, dass das Leistungslimit so weit abgesenkt wird, dass jeder halt sein Zeugnis bekommt, unabhängig davon, ob er die Anforderungen erfüllt oder nicht. Ein befreundeter Lehrer hat mir kopfschüttelnd erzählt, wie er mit der Forderung seines Rektors konfrontiert wurde - 50 % eines Jahrgangs haben das Abitur zu schaffen, dies ist das einzig wichtige Bildungsziel. Ob sie die Hochschul-"reife" dann auch wirklich besitzen, ist eher nebensächlich. Mit dem mangelnden Niveau dieser Schulausbildung dürfen sich dann Ausbildungsstätten oder die Universitäten herumschlagen.
5. Eine gute Sozialpolitik besteht nicht darin, ständig nur mehr Geldleistungen für die als bedürftig Erklärten zu fordern, sondern versucht das Übel an der Wurzel zu packen. Der Versuch, einen Eimer mit Löchern im Boden zu füllen, in dem ich ständig Wasser nachgieße, muss scheitern. Nur das Flicken der Löcher oder die Anschaffung eines neuen Gefäßes macht wirklich Sinn.
6. Leider habe ich sehr viele negative persönliche Beobachtungen in meinem persönlichen Umfeld mit dem Thema HartzIV und/oder Sozialhilfe gemacht. Auch wenn es hier vermutlich einen Aufschrei der Entrüstung hervorrufen wird: meine hierbei gemachten Erfahrungen passen leider nicht ins politisch korrekte Weltbild. Es wimmelt in ca. 90% der Fälle von Betrügereien, Manipulationen und Tricksereien. Und ich habe wirklich krasse Fälle erlebt. In dieser Hinsicht hatte ich auch sehr interessante Gespräche mit Heike über ihre Erfahrungen, die sie in Leipzig als Mitarbeiterin in einem Caritas-Projekt für sozialschwache Frauen gemacht hat. Aber grundsätzlich rede ich lieber von eigenen Erfahrungen, als von "Ich habe gehört, dass ..."
7. Wir haben, trotz nicht zu leugnender Erosionserscheinungen, immer noch eines der besten Sozialsysteme der Welt, um Armut zu begrenzen.

Millionäre und Milliardäre sind für mich nicht sonderlich interessant. Nur wenn sie ihren Reichtum durch Ausbeutung von anderen erlangt haben, beschäftigt mich dies mehr. Ob dies immer der Fall ist, möchte ich jetzt nicht bewerten. Für mich stellt es eh kein Ziel dar, möglichst viel auf dem Konto zu haben, wenn ich mal in die Kiste komme. Es soll halt für meine/unsere Bedürfnisse reichen.
Liebe Grüße
Michael Nr. X,
der gerade seine Zeit in der Hängematte des Sozialstaats verbringt (Krankenhaus). Aber morgen darf ich endlich wieder nach Hause. Freu :-)

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Mi 27. Jul 2011, 14:03
von Holgi
Da ahne ich eine leidliche Debatte darüber, wie hoch eine staatliche Unterstützung sein muss, um gerecht zu sein. Die Antwort fällt stets unterschiedlich aus. Abhängig davon, wen ich frage. Stellt man die Frage in einem "Hartz-IV Forum" würde die Antwort sicher anders ausfallen als hier (wo es von Hartz-IV Empfängern sicherlich nicht wimmelt).
Was den 90-prozentigen "Beschiss" der Hartz-IV Empfänger angeht, würde mich der Umfang und die Höhe des "Schadens" interessieren.
Da kann ich mir nicht vorstellen, dass die Zahlen höher sind, als die Tricksereien in den Steuererklärungen unserer "Leistungsträger" (welch ein Wort) in unserem Staate.

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Mi 27. Jul 2011, 14:46
von Benutzer 141 gelöscht
Da ahne ich eine leidliche Debatte darüber, wie hoch eine staatliche Unterstützung sein muss, um gerecht zu sein. Die Antwort fällt stets unterschiedlich aus. Abhängig davon, wen ich frage. Stellt man die Frage in einem "Hartz-IV Forum" würde die Antwort sicher anders ausfallen als hier (wo es von Hartz-IV Empfängern sicherlich nicht wimmelt).

Nun, ich habe ja nicht explizit gefragt wie hoch die staatliche Unterstützung sein soll, sondern was wohl die bessere Armutsdefinition ist (oder ob die bisherige eine gute Definition ist) Dazuhin würde mich mehr deine ganz persönliche Meinung interessieren, als der Verweis auf andere.
Was den 90-prozentigen "Beschiss" der Hartz-IV Empfänger angeht, würde mich der Umfang und die Höhe des "Schadens" interessieren.

Um nicht missverstanden zu werden: meine Aussage betrifft nur die Sachverhalte die ich wahrgenommen habe. Ich würde mich nie dazu verleiten lassen, diese Relation auf ganz Deutschland zu übertragen. Einzelbeschreibungen erspare ich mir - vorerst - mal. Es ist aber massiver Sozialbetrug dabei. "Schaden" würde ich in solchen Fällen so definieren: jemand bezieht unberechtigterweise Sozialleistungen, obwohl er gar nicht oder nur teilweise Anspruch darauf hat. Den Schaden haben in einem solchen Falle die wirklich Bedürftigen, da für sie weniger übrigbleibt.
Da kann ich mir nicht vorstellen, dass die Zahlen höher sind, als die Tricksereien in den Steuererklärungen unserer "Leistungsträger" (welch ein Wort) in unserem Staate.

Sorry, dies ist kein Argument sondern fällt unter das Stichwort Polemik.
Gruß Michael X

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Mi 27. Jul 2011, 15:09
von clabauter
Lieber Michael,
danke für Deinen ausführlichen Beitrag. Ich denke, in diesem neuen Thread ist das Thema gut aufgehoben.
Meine Meinung habe ich ja gestern schon ausführlich dargelegt. Deshalb an dieser Stelle nur noch ein paar lose Überlegungen und Ergänzungen meinerseits zu Deinem Text.
Gleichzeitig habe ich mir [...] eine Autonomie erarbeitet, die es mir verbietet, mich vorbehaltlos [...] einem Lager oder einer politischen Richtung anzuschließen. Daher ist es für mich [...] irrelevant, ob meine Meinung populär ist oder nicht [...].

Heute sehe ich das genauso. Ich musste allerdings erst den Weg gehen, mit 16 einer Partei, den Grünen, beizutreten und einige Jahre dort aktiv zu sein, um zu erkennen, dass ich mir meine Meinung nicht nach dem Motto „Was sagen wir dazu?“ bilden mag und dass ich - politisch unkorrekt - in manchen Fragen einfach nicht bereit bin, Kompromisse einzugehen. Meinen Pazifismus zum Beispiel gebe ich nicht auf, auch wenn ich manche kritischen Fragen nicht klug zu beantworten weiß.
Worüber ich auch immer wieder fassungslos bin: Es gab im Bundestag Jahre lang eine deutliche Mehrheit für einen gesetzlichen Mindestlohn. Einzig aufgrund koalitionstaktischer Überlegungen der SPD - man wollte das Bündnis mit der Union nicht belasten - gibt es ihn bis heute nicht. Die SPD stimmte damals gegen ihren eigenen Text, den DIE LINKE als Antrag eingebracht hatte. (Quelle: Antragsposse zum Mindestlohn. SPD stimmt gegen sich selbst. SPIEGEL online vom 14.06.2007.) So funktioniert Politik, das ist gelebte Demokratie!
Dass man, wenn man eine eigene Meinung hat, damit auch mal aneckt, ist doch nicht schlimm - im Gegenteil: Es bereichert die Demokratie.
oft vergleiche ich unsere gesellschaftlichen Umstände mit denen in anderen Ländern [...]. Und mein Selbstmitleidpegel sinkt wirklich, wenn ich mir bewußt mache, dass ich durch meine Herkunft in einem der reichsten Länder der Welt privilegiert bin. Es ist legitim und sogar geboten sich diesen Umstand immer wieder bewußt zu machen. Ja, man darf [...] unterschiedliche Gesellschaften und Länder auch vergleichen und daraus seine Schlüsse ziehen.

Zweifellos. Das stellte ich gestern auch gar nicht infrage, als ich die Legitimität bzw. Sinnhaftigkeit eines Vergleichs der Leiden (!) anderer Länder mit hiesigen Problemen anzweifelte. Und ich bestreite ebenso wenig, dass es den meisten von uns gemessen am Lebensstandard (auch so ein abgestandenes, technokratisches Wort) anderer europäischer Länder noch verdammt gut geht - wobei ich auch hier nicht umhin komme, daran zu erinnern, auf welch perfide Weise wir uns diesen Wohlstand zum Teil "erarbeitet" haben und erhalten. "Wir" schreibe ich bewusst, denn auch meine Generation trägt durch unbedachten Konsum nach dem Motto „Hauptsache billig!“ und z.B. das Tragen gewisser Kleider dazu bei, dass es anderen schlechter geht.
Die Frage ist, wie wir mit den Schlüssen umgehen, die wir aus unseren Vergleichen ziehen. Wenn sie dazu führen, dass wir unsere Hände in den Schoß legen, weil es anderen noch schlechter geht, dann ist das falsch und fatal. Ich unterstelle Dir, lieber Barde, das nicht. Deine Argumentation ist so wie Du sie oben ausgeführt hast, einleuchtend. Aber der Satz „Wir jammern auf einem verdammt hohen Niveau.“ ist halt vorbelastet und außerdem eine rhetorische Täuschung, wie ich gestern schon andeutete. "Wir", diejenigen die das behaupten, jammern nämlich nicht. Mir geht es ganz gut und Dir, denke ich, auch. Wir sind aber auch nicht arm.
Dazuhin kommt natürlich noch die rein philosphische Frage, ob "Armut" nur durch die An- oder Abwesenheit von finanziellen Mitteln definiert sein soll.

Armut beginnt, das erwähnte ich schon, nicht erst mit der Obdachlosigkeit oder ungestilltem Hunger. Sie beginnt viel früher und ist hierzulande wohl eher ein gesellschaftliches denn ein finanzielles Problem. Wenn ein Schulkind immer in ausgewaschenen Kleidern zum Unterricht erscheint und keinen Groschen für das Frikadellenbrötchen am Schulkiosk übrig hat, wird es sozial ausgegrenzt. Das sollte nicht so sein, ist es aber.
Ähnlich ergeht es einem Arbeiter, der sich von seinem Lohn keinen Theater-, Konzert- oder Museumsbesuch leisten kann. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bleibt ihm somit in weiten Teilen verwehrt. Auch das ist gemeint, wenn ich schreibe, Menschen könnten von ihrem Einkommen nicht menschenwürdig leben.
Ich habe den Eindruck, dass viele wirklich Betroffenen gar nicht jammern, sondern engagiert versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Auch deshalb ist der Satz „Wir jammern auf einem verdammt hohen Niveau!“ meines Erachtens unzutreffend. Viele, die jammern, tun das möglicherweise objektiv betrachtet grundlos. Und viele, die Niveau haben, jammern nicht, sondern schweigen und dulden. Das ist ungerecht.
Es ist aber absolut nicht stimmig, wenn meine Äußerung derart interpretiert wird, dass mir soziale Ungerechtigkeiten in unserem Land egal sind bzw. dass ich sie gar nicht wahrnehme.

Das würde ich Dir, lieber Barde, niemals unterstellen. Ich begreife diese Diskussion als einen Gedanken- und Überlegungsaustausch. Dabei passiert es jedem von uns, dass Botschaften anders verstanden werden, als sie gemeint sind. Da wir hier ja schon mehrmals politisch diskutiert haben, glaube ich aber zu wissen, wie Du denkst. Und ich glaube auch, dass wir weitgehend einer Meinung sind - weitgehender, als es angesichts der Länge unserer Texte hier scheint. Das will ich gern belegen.
Grundsätzlich halte ich aber die offizielle Definition des Armutsbegriffes für total hirnrissig.
Volle Zustimmung. Deswegen bemühe ich mich so, den Begriff in meinen Diskussionsbeiträgen zunächst selbst zu definieren, eben weil er so mannigfaltig und dehnbar ist.
Nun zu Deinen 13 Thesen. Jenen, ausdrücklich auch den unpopulären, stimme ich im Kern jeweils zu. Manches hätte ich etwas anders formuliert. Da wir hier aber immer noch in einem Internetforum sind und kein neues Grundgesetz verabschieden wollen, tue ich das an dieser Stelle nicht, sondern gebe Dir stattdessen gerne Recht.
* * *
Eine Randnotiz zum medialen Umgang mit der Hungersnot in Afrika muss ich noch anfügen. Eben hörte ich die 13-Uhr-Nachrichten der NDR 1 Welle Nord. Darin sagte der Sprecher, Millionen Menschen in der betroffenen Region „haben Hunger“. Welch ein Euphemismus! Es gibt doch einen gewaltigen Unterschied zwischen "Hunger haben" und "hungern" bzw. "vom Hungertod bedroht sein".
Es grüßt
clabauter

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Mi 27. Jul 2011, 15:38
von Holgi
Ich möchte mich zur Definition von "Armut" nicht äußern, da mir das zu Komplex ist und ich kein Fachmann bin. Für mich beschränkt sich das auch nicht nur auf materielle Werte.
Die Diskussion entstand ja aus dem Vergleich der Frau, die 40 Km läuft um Wasser zu holen und "uns", die "wir" auf hohem Niveau jammern. Ich empfinde solche Vergleiche immer etwas zynisch, insbesondere wenn man zum Vergleich "unsere" Armutsgrenze heranzieht. Die Frau läuft nicht 40 Km für einen Fernseher, eine Waschmaschine oder für ein Handy. Ihr fehlt es offenbar an lebensnotwendigem Wasser.
Wofür würde ein Mitglied der sog. Unterschicht 40 Km laufen? Für gesellschaftliche Anerkennung oder Wertschätzung? Für weniger Stress im Beruf, weil er auf Grund seines geringen Einkommens oder Schulbildung geringwertig behandelt wird? Für seine Heilung von starken Depressionen, die sich aus diesen Problemen ergeben haben?Ich persönlich würde lieber darüber diskutieren, wann ein Mensch genug hat. Braucht er ein Boot, ein Pferd, ein stärkeres Auto als einen Golf? Müssen es die Felgen für 2000 Euro sein? Braucht er zwei Häuser? Muss die Frau auch arbeiten, obwohl der Mann genug verdient (oder umgekehrt)? Muss man zwei mal in Urlaub fahren?
Ich finde, der Vergleich hinkt. So oder so.

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Mi 27. Jul 2011, 16:41
von Benutzer 141 gelöscht
Lieber Carsten,
die Diskussionen mit dir sind wirklich eine Bereicherung. Selbst wenn wir nicht immer einer Meinung sind, bin ich sehr angetan von dieser Art der argumentativen Auseinandersetzung, Im Internet ist dies ja heutzutage leider sehr selten geworden ist (Stichwort: Nettiquette) Oft werden nur oberflächliche Scheindiskussionen geführt, bei denen man versucht, dem anderen schlecht durchdachte Meinungen um die Ohren zu hauen. Unser Forum sticht überhaupt durch einen angenehmeren Umgangston heraus. Da bin ich dir und den anderen im LM-Forum auch sehr dankbar dafür.
Meinen Pazifismus zum Beispiel gebe ich nicht auf, auch wenn ich manche kritischen Fragen nicht klug zu beantworten weiß.

Ja, wenn ich eine Meinung habe und diese immer wieder geprüft, hinterfragt und kritisch beleucht habe und sie immer noch vertreten kann, muss ich einfach dazu stehen.
Unter umgekehrten Umzeichen ist dies für mich auch ein sehr gutes Beispiel. In meinem Falle kann ich z.B nicht einen totalen Pazifismus vertreten und meine Meinung nicht aufgeben, dass es auch Fälle gibt, wo der eine dem anderen durch Ausüben von Gewalt (sprich: Krieg) beistehen muss. Und genau wie bei dir, kann man mir kritische Fragen zu meiner Position stellen, die ich auch nicht klug beantworten kann.
Man weiß, dass man damit oft aneckt, aber dir und mir geht es wahrscheinlich so wie weiland Luther: hier stehe ich und kann nicht anders.

Nochmals eine Anmerkung zum Wörtchen "wir". Vielleicht habe ich unterbewusst dieses Wort gewählt, weil mir die Erinnerung an die eigene Armut in der Kindheit für immer unauslöschbar ins Gedächtnis gebrannt ist. Dies hatte ich ja auch schon geschrieben. Irgendwie zähle ich mich wahrscheinlich immer noch zu dieser Gruppe. Aus diesem Grund würde ich ja so etwas auch nie unnötig romantisieren oder verklären. Als Kind hatte ich dies als sehr belastend erlebt. Wenn eine Familie 7 Kinder hat und die Mutter oft weint, weil das Geld so knapp ist, ist dies eine schlimme und traumatische Erfahrung. Es war für mich seelisch grausam, als sie mich zum Kaufmannn geschickt hat, um die Lebensmittelrechnung nochmals kontrollieren zu lassen "Die Kassiererin muss sich verrechnet haben, soviel Geld kann dies nicht gekostet haben" Und der Streit der Eltern untereinander, wenn mein Vater wieder heimlich Geld abgehoben hat. Abgetragene oder geschenkte, gebrauchte Kleider von der Verwandtschaft - alle Klischees habe ich erlebt. An Musikunterricht war überhaupt nicht zu denken. Unvorstellbar, dass meine Eltern Klavierunterricht für mich bezahlt hätten, was ich mir so sehr gewünscht hätte. Die Bettdecke war in kalten Wintern morgens manchmal von Rauhreif überzogen, weil es nur in Wohnzimmer und Küche einen Ofen gab. Einen Klassenkameraden habe ich wie einen Alien angestarrt, als er mir erzählte, er würde in den Herbstferien mit seinen Eltern einen Urlaub in Irland machen. Unvorstellbar - Dies war für mich ungefähr so weit weg wie der Mond ... Und die ganze Familie fliegt in den Urlaub. Mein Gott, wir hatten nicht mal ein Auto.
Dies kann ich jetzt auch so offen erzählen, weil Heidi uns mit Mut und einem guten Beispiel vorangegangen ist. Eine Stadtführung der ganz besonderen Art, weil sie sehr persönlich und menschlich war.
Es geht uns heute gut und wir fühlen uns gut versorgt. Nie wieder möchte ich so arm sein. Und trotzdem habe ich sogar positive Erkenntnise aus früheren Jahren gezogen: auch wenn es mir unendlich schwerfallen würde - Ich würde wieder mit einer solchen Situation klarkommen. Und ein anderer, mir sehr wertvoller Vorteil, den ich mir damit erworben habe: der damalige, erzwungene Verzicht führt gleichzeitig dazu, dass ich mir nicht von anderen aufoktroyieren lasse, was ich wirklich für Bedürfnisse habe. Dieser Zwang, unter dem heute vorallem Jugendliche sehr zu leiden haben, ist wirklich schlimm. Wer nicht das coolste Handy und die tollsten Klamotten hat, ist untendurch. Aber ich frage mich hier, ob dieses Problem nicht ein Indikator für eine kränker werdende Gesellschaft ist. Sollen wir dem dadurch begegnen, dass wir die Regelsätze für HartzIV-Kinder so weit erhöhen, dass sie hier mithalten können. Dies kann keine Lösung sein. Viele der mit dem Begriff "neue Armut" definierten Begleitumstände sind keine finanziell zu lösenden Dinge. Die Gesellschaft leidet an "emotionaler Armut". Heike redet oft von der sich immer mehr auflösenden Solidarität, die in der DDR unter den Menschen geherrscht hat und die es geschafft hat, den materiellen Mangel erträglich zu machen. Um hier nochmal den Fernsehbeitrag zu erwähnen, der ganz am Anfang meiner Bemerkung stand (zur Erinnerung: es ging um einen kenianische Mutter, die jeden Tag 40 km zurücklegt, um zu Fuß Wasser von der Wasserstelle zu holen): sie und ihre Familie sind vom Welternährungsprogramm und den Nahrungsmittellieferungen abhängig. Das allererste was sie macht, wenn sie ihren Maissack abgeholt hat - sie teilt mit den Nachbarn, die sich nicht in die Liste eingetragen haben.

Liebe Grüße Michael (Barde)


Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Mi 27. Jul 2011, 17:12
von Benutzer 141 gelöscht
Lieber Holger

Holgi schrieb:
Ich persönlich würde lieber darüber diskutieren, wann ein Mensch genug hat. Braucht er ein Boot, ein Pferd, ein stärkeres Auto als einen Golf? Müssen es die Felgen für 2000 Euro sein? Braucht er zwei Häuser? Muss die Frau auch arbeiten, obwohl der Mann genug verdient (oder umgekehrt)? Muss man zwei mal in Urlaub fahren?


Dies interessiert mich so wie der oft und vielzitierte Sack Reis, der in China umfällt. Es geht ja hier primär um die Diskussion über die Armut in Deutschland und nicht um die moralische Bewertung des Besitzstandes begüterter Menschen. Wenn dies ein Reichtum ist, der durch Ausbeutung von anderen entstanden ist, dann kann man vielleicht noch darüber diskutieren. Im Zweifelsfalle evtl. auch noch über die ökologischen Folgen von Überkonsum. Aber ansonsten ist es mir egal, ob jemand zwei oder drei Häuser hat, oder ob seine Felgen 2000 Euro kosten. Soll er doch. Ich empfinde da keinen Neid. Dann lege mal los und werde konkreter. Mir fallen zu deiner Anmerkung nur so Themen wie Spitzensteuersatz o.ä ein. Meinst Du das vielleicht? Willst Du eine Umverteilung? Und wenn ja, wie sollte die aussehen. Du wirfst immer wieder Meinungsbrocken hin und wenn man genau nachfragt, weichst du aus.
Die Diskussion entstand ja aus dem Vergleich der Frau, die 40 Km läuft um Wasser zu holen und "uns", die "wir" auf hohem Niveau jammern. Ich empfinde solche Vergleiche immer etwas zynisch, insbesondere wenn man zum Vergleich "unsere" Armutsgrenze heranzieht. Die Frau läuft nicht 40 Km für einen Fernseher, eine Waschmaschine oder für ein Handy. Ihr fehlt es offenbar an lebensnotwendigem Wasser.

Deinen Vergleich und deine Schlussfolgerung daraus verstehe ich überhaupt nicht. Erklär mir nochmal deinen Handy-Waschmaschinenvergleich. Vielleicht sitze ich ja auf meiner Leitung. Wer ist denn hier - deiner Meinung nach - wem gegenüber zynisch. Der einzig gerechtfertige "Zynismus", wäre wahrscheinlich derjenige, den sie empfinden müsste, wenn sie unsere "Armuts"-Definition erklärt bekommen würde.

Gruß Michael X

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Mi 27. Jul 2011, 17:27
von Helmut
Hallo Clabauter
Weitgehende Zustimmung. Eine Passage von dir jedoch macht mich fassungslos:
Worüber ich auch immer wieder fassungslos bin: Es gab im Bundestag Jahre lang eine deutliche Mehrheit für einen gesetzlichen Mindestlohn. Einzig aufgrund koalitionstaktischer Überlegungen der SPD - man wollte das Bündnis mit der Union nicht belasten - gibt es ihn bis heute nicht. Die SPD stimmte damals gegen ihren eigenen Text, den DIE LINKE als Antrag eingebracht hatte.
Ich gehe davon aus, dass dir die Bedeutung eines Koalitionsvertrages klar ist. Wenn die SPD dem Antrag der Linken zugestimmt hätte, hätte es das Bündnis mit den Schwarzen nicht belastet, es wäre zum Bruch der Koalition gekommen. Wer einen Vertag schließt muss auch so manche bittere Kröte schlucken, wer das nicht kann, hat in der Politik nichts verloren. Oder wollen wir italienische Verhältnisse, als mir in jedem Urlaub versichert wurde, dass im nächsten Jahr die Lira drei Nullen weniger hat und sie die Währungsreform wegen der nächsten Regierungskrise nicht hinbekommen haben?
Gesetzesvorlagen werden eben in den entsprechenden Ausschüssen gemacht. Mit ihrem Antag hat die Linke lediglich gezeigt, dass für sie Koalitionsvertäge bedeutungslos sind und somit hat sie ihre Unfähigkeit zu einer Koalition unter Beweis gestellt. Das ist übrigens einer von vielen Gründen, warum ich mich dafür einsetze, dass die Linke weder in Bayern noch im Bund in eine Koalitionsregierung genommen wird.
Wenn sich die Stimmung der Wähler nicht wesentlich ändert, kommt es ja hoffentlich in der nächsten Legislaturperiode mit Rot-Grün zu einem Mindestlohn.
Gruß
Helmut

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Mi 27. Jul 2011, 17:59
von Holgi
Arbeiten und nebenbei Diskutieren ist vielleicht nicht so gut. :roll:
Ich mag die ständige Diskussion über die Armut in Deutschland auch nicht. Das Thema erfordert außerdem mehr Konzentration, die ich momentan leider nicht aufbringen kann. Daher klinke ich mich auch jetzt aus.
Neid fühle ich ebenfalls nicht. Ich denke aber, wenn man sagt "Jammern auf hohem Niveau", dann zeigt das ja, wie hoch der Standart sein muss. Mehr wollte ich mit meinen Booten und Pferden nicht sagen.

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Mi 27. Jul 2011, 19:17
von Klajokas
Holgi schrieb:
Ich persönlich würde lieber darüber diskutieren, wann ein Mensch genug hat....... Muss die Frau auch arbeiten, obwohl der Mann genug verdient (oder umgekehrt)? Muss man zwei mal in Urlaub fahren.
Ich glaube dass es unlauter ist Äpfel und Birnen zu mischen.
(irgendwie krieg ich das mit den Zitaten nicht hin)
An meinem (unseren) eigenen Beispiel möchte ich das mal kurz darstellen:
Ich selber arbeite als Beamter ( ja ja, die Witze kenne ich alle) in Vollzeit und in der Wechselschicht inklusive Wochenenden und Feiertagen. Momentan unfreiwillig gesammelte Überstunden ca. 250.
Gut dafür erhalte ich von der Landesmutter ein an sich ausreichendes Geld. Nun habe ich aber vier Kinder: Einer studiert, die zweite macht eine Ausbildung für die sattes Schulgeld bezahlen muss, die dritte leistet ein Praktikum um dann zu studieren zu können, Nummer vier ist mit 13 im Bombenlegeralter und isst ´gerne Frikadellenbrötchen vom Schulkiosk.
Du kannst es glauben oder nicht, die Aufwendungen für diese Investitionen Kind kosten uns jeden Monat weit über € 1.000.
So MUSS meine Frau mitarbeiten damit wir allen Kindern gegenüber gerecht bleiben können.
Bei diesem ganzen Streß und zusammen in der Woche über 80 Stunden geleisteter Arbeit habe ich auch keinerlei Problem damit 2 mal im Jahr zu verreisen ( ich war erst einmal im Leben südlich vom Brenner, noch nie auf Malle, fahre einen alten Volvo und einen Fiesta von 1991)
Als Dank für unsere Anstrengungen erhalten wit natürlich keinen Cent Bafög, zahlen überall vollen Eintritt und und und.
So und dann sehe ich täglich bei meiner Arbeit und im persönlichen Umfeld die Menschen ( durchaus liebenswerte und sympatische) die den "HartzIV"-Trick raushaben. Da kann ich durchaus leidenschaftlich unobjektiv werden.
Das Problem in unserer Gesellschaft ist doch so:
Ein Großteil oben zahlt nix in die Steuerkasse, da man(n) sich ja die Steuergesetze selber geschrieben hat ( oder hat schreiben lassen)
und ein Großteil unten zahlt nix und wird jammernd gut versorgt, damit es nicht zu Unruhen kommt.
Dazwischen gibt es eine Schicht in diesem Sandwich die zahlt. Das sind die Lemminge in unserer Gesellschaft, die mittlerweile bis August arbeiten bevor sie im Endeffekt für den Rest des Jahres etwas von ihrem Geld haben. Abgaben für Teilzeitarbeit von weit über 50% sind normal.
Diese Grenze lag vor 20 Jahren noch im Mai, das bedeutet dass man ab Mai in die eigene Tasche verdient hat.
Da bekomme ich schon Kribbeln in den Fingern wenn ich sehe dass Menschen im sozialen Netz liegen und durch mehr oder weniger legale "Neben"beschäftigungen gut leben aber die Abgaben für die Gemeinschaft auf das Zahlen der Mehrwertsteuer beschränken.
Auf andere Dinge gehe ich jetzt erst mal nicht ein.
Selbst als überzeugter Linksdenker finde ich manchmal den Thilo sympatisch.
Klaus

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Mi 27. Jul 2011, 19:17
von clabauter
Lieber Barde.
die Diskussionen mit dir sind wirklich eine Bereicherung.

Das Lob möchte ich sehr gerne erwidern und auch Dir für Deine (geistig) bereichernden Beiträge danken - wie auch allen anderen in dieser Diskussion. Auch wenn ein Online-Forum den direkten Austausch im Gespräch nicht ersetzen kann, finde ich doch bemerkenswert, wie gepflegt der Diskurs hier stattfindet - trotz manchmal so unterschiedlicher Meinungen.
Da Du in Deinem Beitrag #6 sehr eindringlich Deine persönliche Geschichte und Deine Eindrücke beschreibst, möchte ich ihn gerne so stehen lassen. Deine diesbezüglichen Erfahrungen zu kommentieren, steht mir, finde ich, nicht zu, denn anders als Meinungen stehen Erfahrungen für sich. Und ich finde, Deine eignen sich an dieser Stelle ebenso gut als Schlussworte wie die Beschreibung jener kenianischen Mutter aus der Fernsehdokumentation, die ihren Mais mit den Nachbarn teilt.

Lieber Helmut,
zu meiner Äußerung über das Abstimmungsverhalten der SPD stehe ich - und habe dem hier nichts hinzuzufügen. In einer persönlichen Diskussion hätte ich einiges zu sagen. Aber das führte zu weit vom Thema dieses Threads ab.
Es grüßt
clabauter

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Mi 27. Jul 2011, 20:02
von clabauter
Bezug nehmend auf meinen letzten Eintrag erscheint es mir noch sinnvoll, drei Tatsachen in Erinnerung zu rufen, die jeder selbst bewerten und einordnen möge.
1. Koalitionsverträge werden zwischen den an der Regierung beteiligten Parteien geschlossen.
2. Die Mandate der Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind frei (im Gegensatz zu sogenannten imperativen Mandaten), auch wenn die sogenannte "Fraktionsdisziplin" zum politischen Alltag gehört.
3. Bei Gewissensentscheidungen obliegt es der Fraktionsführung, eine Abstimmung freizugeben, den Fraktionszwang also auszusetzen.

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Mi 27. Jul 2011, 23:36
von Rex2005
Hallo,
Muss mal was zu Beschiss und ein bissel mehr schreiben.
Als Bürodienstleister zähle ich Hartz-IVler genauso wie Besserverdienende zu meinen Kunden. Habe also diverse Anträge geschrieben, Widersprüche durchgefochten und auf dem Amt debattiert um strittige Punkte zu klären. Fakt ist, einen Antrag stellen ist wie sich nackig ausziehen, Beschiss ist kaum möglich – aber ja, es kommt vor. Was aber oft wie Beschiss aussieht, hat nichts mit dem Gesetz und dem Verfahren zu tun. Der Staat hat z.B. keine Möglichkeit zu verhindern, dass Eltern mittellosen Kindern ihren dicken BMW zur Nutzung überlassen. Ein Hilfeempfänger muß sämtliche Konten offenlegen, Kontenbewegungen werden lückenlos alle 3 Monate kontrolliert usw.
Die andere Seite des Beschisses in weitaus größerem Umfang wird jedoch von den „normalen“ Leuten begangen, vornehmlich gut verdienende und gesellschaftlich angesehene Leute wie Anwälte, Ärzte, selbst Beamte, die im Finanzamt arbeiten. Die verlangen nicht selten, dafür aber um so massiver von Selbständigen, dass 50% oder mehr einer ausgeführten Leistung schwarz abgerechnet wird, um Umsatzsteuer zu sparen.
Den Staat bescheißen bzw Gesetze zu umgehen, scheint Volkssport zu sein. Insofern sollte was Beschiss angeht, jeder vor seiner eigenen Türe kehren. Ich könnte da noch einige Beispiele anbringen, was sich Leute einfallen lassen um die Steuerrückzahlung ein bissel freundlicher zu gestalten – und das sind garantiert keine Hilfeempfänger.
Die Berechnungsgrundlagen für Hartz-IV und Sozialhilfe halte ich für gerecht und vom Betrag her völlig ausreichend. Es wird viel zu wenig argumentiert, dass auch Krankenversicherung und Miete finanziert werden. Wer zudem die Möglichkeiten nutzen kann, die geboten werden, wie die Tafel, Kleiderkammer u.ä. kommt oft besser über die Runden als Geringverdiener – oder auch Selbständige, die nicht selten auch Hartz-IV-Leistungen beantragen müssen – und bei dieser Gruppe gibt es tatsächlich größere Möglichkeiten, die Regelungen „großzügig“ auszunutzen. Der soziale Fall von einem durchschnittlichen Einkommen in die staatliche Hängematte ist nur hart für diejenigen, die eventuell aus zu großen Wohnungen ausziehen müssen oder sich mit Krediten übernommen haben. Aber ich finde es in Ordnung, dass man einen einheitliche Berechnungsgrundlage für alle geschaffen hat. Ich erlebe jedenfalls immer wieder, dass Leute wo man weiß, dass es immer knapp ist, ihre Rechnung prompt bezahlen. Von gut bis bestens Verdienende kriege ich selbst bei Rechnungen von 70 € den Spruch: „ich kann´s aber jetzt nicht bezahlen, wir haben gerade Urlaub gebucht.“
Nicht vergessen darf man in dieser Diskussion auch die Tatsache, dass sich inzwischen eine „Bildungsindustrie“ entwickelt hat, die Millionen Umsätze mit sinnlosen Kursen für Hartz-IVler verdienen. Nicht zuletzt deshalb gibt es ja in Deutschland keinen Mindestlohn.
Was ich vielen Hartz-IVlern ankreide, ist allerdings, dass sie mit ihrer arbeitsfreien Zeit nichts anzufangen wissen. Man könnte schon mal die Zeit nutzen, um (Fach)Bücher zu lesen oder Bildungsfernsehen gucken (ja ja, so was gibt´s wirklich noch) oder versuchen 10 Finger statt nur einen auf die Tastatur bringen. Zeit für die Familie kann man auch kostenlos nutzen.
Diese Debatte, das Kinder aus Armut keine Frühstücksbrote in der Schultasche haben … das hat in fast allen Fällen nichts mit Armut zu tun, eher mit der Faulheit der Eltern morgens aufzustehen. Nichts dagegen, dass es Schulessen usw gibt, aber ein Staat sollte den Eltern die Kindererziehung und –betreuung nicht völlig abnehmen.
Was mich noch stört .... egal, wo man es liest oder sieht, wenn es in Deutschland um Kinder geht, geht es um den Kostenfaktor Kind, egal ob Hartz-IV Empfänger oder Beamter. Kein Wunder, dass Kinder inzwischen als Berufswunsch Hartz-IV Empfänger angeben, da liegen sie wenigstens den Eltern während der Ausbildung nicht mehr auf der Tasche!
LG
Rex2005


Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Sa 30. Jul 2011, 13:14
von Benutzer 141 gelöscht

Klajokas schrieb:
...Das Problem in unserer Gesellschaft ist doch so: Ein Großteil oben zahlt nix in die Steuerkasse, da man(n) sich ja die Steuergesetze selber geschrieben hat ( oder hat schreiben lassen) und ein Großteil unten zahlt nix und wird jammernd gut versorgt, damit es nicht zu Unruhen kommt. Dazwischen gibt es eine Schicht in diesem Sandwich die zahlt. Das sind die Lemminge in unserer Gesellschaft, die mittlerweile bis August arbeiten bevor sie im Endeffekt für den Rest des Jahres etwas von ihrem Geld haben. Abgaben für Teilzeitarbeit von weit über 50% sind normal. Diese Grenze lag vor 20 Jahren noch im Mai, das bedeutet dass man ab Mai in die eigene Tasche verdient hat.

Hierzu habe ich einen interessanten Link gefunden, der die Entwicklung der Steuer- und Abgabenbelastung im Laufe der Jahrzehnte darstellt:
Spiegel Online - Steuerbelastung-Fotostrecke
Liebe Grüße
Michael X

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Di 2. Aug 2011, 09:13
von Klajokas

Barde schrieb:
Hierzu habe ich einen interessanten Link gefunden, der die Entwicklung der Steuer- und Abgabenbelastung im Laufe der Jahrzehnte darstellt


Mein Laune bessert sich durch diese interessanten Grafiken nicht unbedingt.
Die Grafiken zeigen den Besch... an den Menschen.
Klaus

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Fr 23. Sep 2011, 12:07
von koester
Ich möchte mich zur Definition von "Armut" nicht äußern, da mir das zu Komplex ist und ich kein Fachmann bin. Für mich beschränkt sich das auch nicht nur auf materielle Werte. Armut zählt vermutlich zu den Begriffen in der Wissenschaft, die kaum zufriedenstellend zu definieren sind.....Aber in Deutschland und anderen europäischen laufen viele Dinge nicht mehr so toll. Das beste Beispiel ist doch der Arbeitsmarkt. Es gibt kaum mehr Jobs, von denen man auch vernünftig leben kann. Mittlerweile besteht doch die Arbeitswelt fast nur noch aus Service-Jobs wie zum Beispiel Call Center oder auch solche Büro-Dienstleistungen. Viele Menschen müssen fast drei Jobs parallel machen um überhaupt von dem Geld leben zu können. Um die Armut zu reduzieren, muss man auch stark über Reformen in der Arbeits-und Sozialpolitik nachdenken.

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Sa 24. Sep 2011, 06:20
von Klajokas

Um die Armut zu reduzieren, muss man auch stark über Reformen in der Arbeits-und Sozialpolitik nachdenken.
Alle Reformversuche haben doch nur dazu geführt die Situation noch verfahrener und undurchsichtiger zu machen.
Immer zu Lasten der Arbeitnehmer.
Billiglohnland Germany ist doch genau dass was sich die Damen und Herrn aus der noch 1,8 % Horde gewünscht haben.
Den Staat passend zuschneiden für die "Besserverdienenden".
Ein Volk was sich solche Helden in die Regierung wählt hat schließlich selber Schuld.
Das ganze Chaos bezieht sich ja nicht "nur" auf den Arbeitsmarkt, da geht es ja auch um Schutz von Steuerflüchtlingen und Verhinderung von geeigneten Ermittlungsmaßnahmen gegen die "weiße" Kragen" Täter.
Weiter gehts doch im Bereich der Pflege. Hier wird den Menschen doch staatlich legitimiert das Eigentum geraubt und richtig Kasse gemacht.
Warum schießen doch sonst wohl Alten- und Pflegeheime wie Pilze aus dem Boden? Aus Menschlichkeit ? Aus Fürsorge ?
Da wird den älteren Menschen doch das letzte Hab und Gut und die Würde genommen. Das Lebenswerk verschwindet im Rachen der Pflegemafia.
Die Kosten sind doch so übermässig hoch gepuscht dass einem schlecht wird.
Am Gesundheitssystem bereichern sich ganze Heerscharen an Weiß- und Schwarzkitteln. Jede ernsthafte Reform wird doch durch die Lobbyisten kaputtgemacht und führt zu einem weiteren Griff in die Tasche der Zahlenden.
Aber gibt es in der politischen Welt der Gegenwart irgend jemanden der auch nur Ansatzweise Vertrauen verdient ? Mir fällt keiner ein.
Nicht aufregen Klaus, ganz ruhig, alles wird gut, du wachst auf und alles war nur ein Traum........

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Mo 31. Okt 2011, 16:25
von chriszib

koester schrieb:
Ich möchte mich zur Definition von "Armut" nicht äußern, da mir das zu Komplex ist und ich kein Fachmann bin. Für mich beschränkt sich das auch nicht nur auf materielle Werte. Armut zählt vermutlich zu den Begriffen in der Wissenschaft, die kaum zufriedenstellend zu definieren sind.....Aber in Deutschland und anderen europäischen laufen viele Dinge nicht mehr so toll. Das beste Beispiel ist doch der Arbeitsmarkt. Es gibt kaum mehr Jobs, von denen man auch vernünftig leben kann. Mittlerweile besteht doch die Arbeitswelt fast nur noch aus Service-Jobs wie zum Beispiel Call Center oder auch solche Büro-Dienstleistungen. Viele Menschen müssen fast drei Jobs parallel machen um überhaupt von dem Geld leben zu können. Um die Armut zu reduzieren, muss man auch stark über Reformen in der Arbeits-und Sozialpolitik nachdenken.

Das Problem ist ja dann auch der Faktor - was zieht der Staat ab? Bei drei jobs kommt schon eine Summe an Geld zusammen, die der Staat durchaus als fixes und relativ hohes Einkommen ansieht und von welchem er dann durchaus seine überdurchschnittlich ungerechtfertigten Prozente abzieht. Wenn man sich überlegt, was man heutzutage für die Finanzierung von Wohneigentum braucht, um nur ein Dach über dem Kopf gewährleisten zu können - ich arbeite oft so viel, dass ich gar keine Zeit mehr habe, auch nur ansatzweise an Freizeit denken zu können. Und es wird irgendwie nichts dagegen wirklich unternommen, Armut zu reduzieren. Wenn ich mir manche Bundesländer nur ansehen und diese besuche und Leute sehe die auf der Straße sitzen... da sieht man, dass der Staat einfach keinen Weg hinaus findet.

Armut in Deutschland - eine Diskussion

Verfasst: Di 2. Apr 2013, 13:54
von guri311
Hallo, Barde,
Ich möchte hier mal nur kurz auf das Thema "Armutsdefinition" eingehen.
Ganz so schlecht finde ich die offizielle Definition gar nicht. Allerdings ist das Kriterium "Durchnittslohn" auch meiner Meinung nach nicht so ganz tauglich. Besser fände ich eine Definition, die einen in unserem Bereich nötigen Mindeststandard in Sachen Leben, Wohnen und Essen zugrundelegte.
Ich würde jemanden als "arm" bezeichnen, der beim Essen sparen muss. Jemanden, der sich etwa mit vernünftigen Methoden produzierte Nahrung (freilaufende Tiere, ökologisch nachhaltige Bewirtschaftung und so weiter) dauerhaft nicht leisten kann und gezwungenermaßen billige und qualitativ fragwürdige Massenware konsumieren muss.
Ebenso jemanden, der bei Bekleidung und Wohnung auf Dinge zurückgreifen muss, die etwa bei einer Stellensuche dazu führen können, eine solche schwieriger zu bekommen.
Man müsste also meiner Meinung nach den Armutsbegriff mit den Kosten korrelieren, die mindestens nötig sind, ein Leben zu führen, in dem man sich wohlfühlen kann, wenn man halbwegs bescheiden ist. Wenn jemand vollzeitlich arbeitet, aber dann kein Geld für einen wirklich erholsamen Urlaub übrig hat, ist meines Erachtens ebenfalls "arm". Mit "erholsam" meine ich keineswegs einen Luxusurlaub "weit, weit weg", sondern Ferien, in denen man etwas Geld übrig hat, um sich interessante und schöne Erlebnisse leisten zu können. Dazu sollte mindestens ein Aufenthalt irgendwo in Deutschland in einer kleinen Pension möglich sein. Mit Vollverpflegung, damit man sich um nichts kümmern muss.
Ich finde es, nebenbei, ziemlich irreführend, wenn man den Durchschnittslohn auch mit den relativ wenigen "Superverdienern" ausrechnet. Man sollte, wie man es in vielen Statistiken macht, solche extremen Ausreißer grundsätzlich nicht berücksichtigen. Dafür aber alle jene, die fast gar kein Einkommen haben, da diese ja auf jeden Fall irgendwie ihr Leben bestreiten müssen. Die Superreichen sind dagegen von Gedanken an Sparsamkeit an ihren natürlichen Bedürfnissen logischerweise weit entfernt, weshalb man bei einer Durchschnittseinkommensberechnung zur Armutsdefinition diese eben nicht berücksichtigen sollte.
Bei einer solchen Berechenmethode würde dann eine realistischere Armutseinschätzung resultieren.
Andere Faktoren, die gebietsweise sehr unterschiedlich sein können, da sie die "nötigen Kosten" oft drastisch beeinflussen, sind Wohnungsmieten, gesetzliche Mindestvorschriften betreffs der Wohnung, Alter der Wohnung, die Frage, ob jemand bereits Wohneigentum hat, die Lage des Lebensbereiches der betrachteten Person und die dort üblichen Preise für Gegenstände des nötigen Bedarfs.
Dass Armut freilich auch viel mit der inneren Verfassung eines Menschen zu tun hat, ist ein Thema für sich. Und es wäre lohnend, diese Frage vielleicht mal in ein Lied zu verwandeln. Es gibt nicht wenige Menschen, die materiell reich, aber in der Seele bitterarm sind. Die sich jeden Arzt leisten können, aber niemanden haben, der sie bedingungslos liebt. Die viele Menschen kennen aber keinen einzigen haben...
Diese innere Armut ist mit Zahlen nicht zu definieren. Und sie ist auch mit noch so viel Geld nicht zu beheben.
Es gibt nicht wenige materiell "arme" Menschen, die mit ihrem Dasein ihre ganze Umgebung reich machen. Die sich um Andere kümmern, ihnen ihre Nähe schenken, ihnen zeigen, dass sie sie lieben.
Wir Liedermacher haben ja - je nach der Art der Lieder, die wir machen - unter Umständen einen solchen großen, unbezahlbaren Reichtum. Mich könnte kein Geld der Welt locken, diesen Reichtum des Liedermachendürfens und des Liebens dagegen einzutauschen.
Eher noch würde ich Straßentroubadour werden. :gitarre:
In diesem Sinne liebe Grüße,
Gunnar, der Liederfahrer