Seite 1 von 1

Liederfest 2015

Verfasst: Mo 19. Okt 2015, 13:59
von Skywise
Drei Interpreten fanden sich auf der Speisekarte des aktuellen Liederfestes, das am 17. Oktober über die schmale Bühne des noch schmaler besuchten unterhauses ging. Unter diesen drei Interpreten befanden sich zum einen der Förderpreisträger der Liederbestenliste, bestehend aus dem jungen Nachwuchsliedermacher Falk, dessen zweites Album "Mama" sich bereits in der Liederbestenliste erwähnt fand. Beim zweiten Interpreten handelte es sich um den bereits etablierten, allerdings dennoch weiterhin äußerst gern in der Liederbestenliste gesehenen Kabarettisten und Liedermacher Matthias Brodowy, der dieses Mal "in Begleitung" auftrat. Der dritte Interpret hört auf ganze vier Namen, von denen einige in Österreich auch nicht ganz unbekannt sind: Molden Resetarits Soyka Wirth. Dieser Formation gebührt der aktuelle Liederpreis der Liederbestenliste für ihr Lied "Ho Rugg", Titelstück des gleichnamigen Albums.
Ungeachtet der nicht mal zur Hälfte gefüllten Reihen des Autidoriums begrüßte Liederbestenliste-Chefin Petra Schwarz die Zuhörer gut gelaunt mit warmen Worten, machte darauf aufmerksam, daß das nachfolgende Programm ebenfalls wie in den vergangenen Jahren für den Rundfunk mitgeschnitten würde (auf dem WDR soll eine Ausstrahlung am 27. Dezember geplant sein, einzelne Häppchen des Abends finden sich in den nächsten Wochen auch auf anderen öffentlich-rechtlichen Radioprogrammen) und erklärte den Ablauf des Abends. Den Anfang durfte der einzige Solist des Abends bestreiten: Falk, dem laut Lobhudelei dieser Preis verliehen wurde ob seiner sarkastischen Texte und deren origineller Verbindung mit eingängigen Melodien. Mit seinem Lied "Mama" durfte Falk bereits in die Liederbestenliste hineinschnuppern, und natürlich brachte er es auch an diesem Abend - zur allgemeinen Freude des Publikums. Bemerkenswert an dieser Stelle ist, daß Falk auf der Bühne und im Dialog mit dem Publikum deutlich besser zur Geltung kommt als auf seinen beiden Studioalben "Stück für Stück" und "Mama", gerade die Ansagen trugen an einigen Stellen dazu bei, die Stücke und ihren Hintergrund besser zu verstehen oder ihren Sarkasmus deuten zu können, insofern sei Falk jedem live ans Herz gelegt, und AHUGA!, Label des Liedermaching-Urgesteins Götz Widmann, sei als Überlegung auf den Weg mitgegeben, ob nicht ein Live-Album von Falk eine gute Wahl für die dritte Veröffentlichtung wäre. Falk wußte an diesem Abend mit bissigen, hintergründigen Kommentaren und dem passenden Liedgut zu überzeugen. Zwar ist die Politik oder die große Geste nicht seine Sache, aber das fast schon gemeine Entlarven mancher Höflichkeitsfloskel beherrscht er auf herausragende Weise.
"Special Guest" des Abends war Matthias Brodowy, der in seinem Windschatten den umtriebigen Wolfgang Stute an Gitarre und Percussion (u. a. Heinz Rudolf Kunze, Purple Schulz) und Carsten Hormes an der Baßgitarre (u. a. Alea) aufbieten konnte, mit denen er 2013 den Deutschen Kleinkunstpreis erhalten hatte für sein Programm "In Begleitung". Obwohl er sicher auch anders gekonnt hätte, konzentrierte sich Matthias Brodowy an diesem Abend auf die Rolle des Bindeglieds zwischen zwei eigentlich nicht kompatiblen Interpreten, indem er die Spitzfindigkeiten von Falk auf eine andere, d. h. auf eine politische und gesellschaftliche Ebene hob und darüber hinaus auch nachdenkliche und poetische Elemente in seine Darbietung einfließen ließ. Ob gewollt oder ungewollt - seine eigenen Kommentare zu Menschlich-Allzu-Menschlichem verblieben nebst dem dazugehörigen Liedmaterial an diesem Abend in seiner Schatzkiste, wodurch er dem Förderpreisträger die Butter nicht vom Brot nahm; gleichzeitig brachte er bilderreiche Texte, bei denen die Botschaften eher zwischen den Zeilen standen, was den Boden bereitete für die nachfolgenden Molden Resetarits Soyka Wirth. Mit Spielfreude, die offenkundig nicht zuletzt auf das Zusammenspiel seiner Begleitmusiker zurückzuführen war, und der Lockerheit eines Menschen, der dem Publikum nichts mehr beweisen muß, füllte er elegant die Zeit bis zur Pause und stand praktisch nach seinem letzten Ton mit seinen musikalischen Mitstreitern bereits am gut gefüllen CD-Stand und bot bescheiden und als einzige CD sein älteres "In Begleitung"-Album zum Kauf inkl. Signatur feil. Pluspunkt für Stil.

Eine viertelstündige Pause später, die auch im Publikumsbestand weitere Lücken riß, was vermuten läßt, daß der Rest der Zuhörerschaft fast ausschließlich aus unterhaus-Stammpublikum, Mitgliedern der Liederbestenlistenjury sowie den eifrigsten Besuchern des Mit-Veranstalters Kultursommer Rheinland-Pfalz bestand (plus ein paar hörbar österreichischen Gästen), betraten schließlich die Preisträger des Jahres den ihnen zugewiesenen Raum auf der Bühne. Liederbestenlisten-Mitglied Hans Jacobshagen hielt seine Ho-Rugg-Laudatio, in deren Zuge die Einzelteile des Quartetts vorgestellt wurden, angefangen bei Dichter, Schriftsteller, Liedermacher und Caféhausgänger Ernst Molden (Gitarre, Gesang), Schmetterlinge-, Ostbahn-Kurti- und Stubnblues-Urgestein Willi Resetarits (Mundharmonika, Gesang, Ukulele), Ex-Extremschrammel-Mitglied Walther Soyka (Knopfharmonika, gelegentlich Gesang) sowie Hannes Wirth (Gitarre, gelegentlich Gesang), Mitglied der Band A Life, A Song, A Cigarette und dauerhafter Ernst-Molden-Begleitmusiker. Und schon erklangen die ersten Töne des Preislieds "Ho Rugg". Frei nach dem Motto "perfekt können andere, wir können nur gut" zelebrierten die vier ihre Mischung aus Blues, Wienerlied, Chanson und Country. Schnoddriger Dialekt, angeräucherte Stimmen, schwere Rhythmen, ungenaue Einsätze, teilweise Gesang und Instrumente genau am richtigen Ton vorbeigesetzt - aber diese Details brauchen die Lieder aus den Hinterhöfen oder Cafés, von den Friedhöfen und den ruhigen Stellen abseits der Stadt, um ihre Wirkung zu entfalten. Vieles wirkt improvisiert, man hat den Eindruck, eher Zeuge einer öffentlichen Probe zu sein als eines strukturierten Auftritts, aber die Lieder würden keinen Hochglanz vertragen und beträchtlich an Atmosphäre einbüßen, brächte man sie anders auf die Bühne. Das auf Bitte der Interpreten hin heruntergefahrene Scheinwerferlicht trug zu diesem Eindruck ebenso bei wie das wahrscheinlich nicht auf Bitte der Interpreten hin über weite Strecken unzureichend geregelte Gesangsmikrofon von Willi Resetarits. So malten die vier Österreicher ihre musikalischen Bilder von verrauchten Kneipen, schummrig beleuchteten Gassen, Sehnsüchten und Trostlosigkeit, und auch wenn's an einigen Stellen - teils dialekt-, teils technikbedingt - mit dem Textverständnis haperte, nahm das Publikum die Lieder dankbar entgegen. Wie man den Informationen in Nebensätzen entnehmen konnte, sei bereits ein weiteres Album in Quartett-Besetzung in Arbeit. Inwieweit die neuen Lieder, die es an diesem Abend auf die Bühne schafften, auch auf Tonträger vertreten sein werden, wäre im Augenblick allerdings noch zu diskutieren.
Insgesamt bekam man ein gelungenes und abwechslungsreiches Programm geboten, das bestimmt auch über das Radio eine gute Figur macht, auch wenn naturgemäß die ausschweifenden Gesten von Willi Resetarits dabei ebenso auf der Strecke bleiben werden wie die stumme, aber verschmitzte Kommunikation zwischen Wolfgang Stute und Carsten Hormes. Zwei verdiente Preisträger und ein hervorragender Brückenbauer sollten eigentlich Grund genug sein, bei passender Gelegenheit das Radio einzuschalten oder die Sendung mitzuschneiden ... wäre schön, wenn sich vor den technischen Geräten mehr Zuhörer finden würden als im sträflich unterbesetzten unterhaus.
Gruß
Skywise

Liederfest 2015

Verfasst: Mo 19. Okt 2015, 16:47
von Petra
Lieber Skywise,
vielen Dank für diesen Bericht, klingt so, als hätte man eigentlich dabei sein sollen. Immer wieder dieses geografische Problem ... Wenn es nicht einmal das Mainzer Unterhaus schafft, seine Reihen zu füllen, was kann man dann von weniger bekannten Kleinkunstbühnen erwarten?
Woran mag es gelegen haben? Nicht genug Werbung? Kulturelles Überangebot? Oder was? Und dass das Publikum in der Pause auch noch schrumpfte, ist besonders traurig.
Danke, dass Du uns an Deinen Eindrücken hast teilhaben lassen.
Viele Grüße von Petra :blümchen:

Liederfest 2015

Verfasst: Mo 19. Okt 2015, 18:46
von Skywise

Petra schrieb:
Woran mag es gelegen haben? Nicht genug Werbung? Kulturelles Überangebot? Oder was? Und dass das Publikum in der Pause auch noch schrumpfte, ist besonders traurig.
Einerseits nicht genug Werbung. Es ist nicht fair, die Schuld hier einem einzelnen zuzuschustern, aber es gab einige Leute, die deutlich mehr die Werbetrommel hätten rühren können und müssen. Andererseits muß ich ganz klar sagen, daß auch bei vergangenen Liederfesten der Raum nicht voll wurde.
Eine schon fast bizarre Erklärung lieferte mir zwischen den Zeilen Michael "Folker" Kleff zwischen Tür und Angel mit der sinngemäßen Aussage: wäre Matthias Brodowy allein aufgetreten, wäre der Saal voll gewesen. Und seit der zweiten Halbzeit glaube ich sogar, daß er mit dieser Vermutung gar nicht mal so sehr daneben liegt.
Gruß
Skywise

Liederfest 2015

Verfasst: Mi 21. Okt 2015, 11:32
von Anne1986
Hallo Sky, hallo Petra,
danke für den interessanten Bericht, Sky! Tja, dass wirklich gute Veranstaltungen nicht annähernd voll werden, das hab ich auch schon des Öfteren erlebt. Trotzdem: Wenn es bei dem Publikum, das da ist, gut ankommt, ist ja schon mal etwas gewonnen. Und vielleicht läuft die Werbetrommel beim nächsten Mal ja besser... Teile gerne die Radiotermine mit, Sky!
Viele liebe Grüße,
Anne

Liederfest 2015

Verfasst: Mi 21. Okt 2015, 22:50
von Luise
Hallo,
vielleicht tröstet es ja die 3 Musiker,dass selbst das Wecker Konzert in Chemnitz gestern,sehr schlecht besucht war. :-( Da er erst nächstes Jahr mit seinem neuen Album in Dresden ist,sind wir halt mal in die Stadthalle gefahren,aber sie war gerade mal halb gefüllt-ich weiß nicht,ob es am Di lag...wir haben es jedenfalls nicht bereut !
Liebe Grüße
Luise u. Steffen.