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Götz Widmann - live; ein Bericht

Verfasst: Mi 26. Jan 2005, 15:42
von Skywise
25. Januar 2005
Konzertort: Q-Kaff, Universität Mainz
Konzertbeginn: 21 Uhr.
Einlass: 20 Uhr.
Vor dem Eingang herrschte bereits um halb acht ein unglaublicher Andrang. Es wurden Worte gewechselt wie „Glaubst du, der spielt heute wieder bis nach eins?“ und bereits hier bemerkte selbst der wenig aufmerksamen Schlangenbeschwörer („Geh vorwärts, geh vorwärts!“) neben dem einen oder anderen auffällig unauffälligen Pfeifchen einen verdächtig süßlichen Geruch, der in der Luft hing. Keine Frage – Götz Widmann war wieder in der Stadt, zu seiner Joint Venture-Zeit einer der Altvorderen des Liedermachings.
Handzettel waren verteilt worden, um zusätzliche Leute anzulocken, was wahrscheinlich gar nicht nötig gewesen wäre, denn bereits in der Vergangenheit füllte Widmann die Räumlichkeiten bis ins letzte Eckchen. Dieses Mal sorgten viele Neugierige dafür, daß noch einmal ein Schippchen draufgelegt wurde – in dem sonst bequem 100 Leute fassenden „Hauptcafé“, in dem das kleine Podest aufgebaut war, stapelten sich an die 400 Personen. Damit diese nicht froren, vermied man es, die Fenster zu öffnen, was in allerkürzester Zeit dafür sorgte, daß das Q-Kaff zu einem Vorhof der Hölle wurde für alle, die unter Klaustrophobie leiden oder militante Asketen sind. Für alle übrigen gilt: es war ein bißchen eng, es wurde etwas viel geraucht, ein paar Tüten machten auch ihren Weg durch die Menge, dafür konnte man an der nicht allzu weit entfernten Theke auch gemütlich konsumieren.
21:05 Uhr betrat Götz Widmann, noch mit dicker Jacke bekleidet und offensichtlich ein klein wenig außer Atem, unter einem Anstandsapplaus das Podest. Um erst mal Luft holen zu können, schickte er die beiden Jungs von „Strom & Wasser“ vor, die daraufhin mit Gitarre, Baß, Stimmgewalt, Schwung und Lockerheit einige Lieder zum Besten geben durften.
Die beiden zeigten, daß sie es nicht umsonst auf die SWR-Liederbestenliste geschafft hatten – musikalisch eindrucksvoll, textlich einwandfrei brachten sie Lieder dar wie „Hammerschmidts Bombe“, „Sie handelt mit Träumen“, „Leise treten die Leisetreter“, „Müllficken“, „Arsch meiner Freundin“ oder „Das Strom & Wasser-Randfigurenkabinett“. Der Funke sprang jedoch leider nur selten über; entweder war das Publikum noch zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt (mit Reinströmen beispielsweise ... oder mit Reinströmen-Lassen) oder ihm fehlte die Bereitschaft, sich auf manche eher melancholische Texte einzulassen. Die „Zugabe!“-Rufe nach dem neunten Stück machten demzufolge auch mehr den Anschein des Anstands als der ehrlichen Überzeugung und nach dem „Lied von der Elbe“ ließ man das Duo nach einer guten halben Stunde auch bereitwillig von der Bühne.
Fliegender Wechsel – Abgang „Strom & Wasser“, Auftritt Götz Widmann, Auspacken und Stimmen der Gitarre, dann die Kasperle-Frage „Seid ihr fertig? Wollen wir anfangen?“
Schon gleich am Anfang war klar – ohne Joint Venture wäre Götz Widmann nur ein halber Mensch, also brachte er gleich mal zwei der alten Stücke zu Gehör, was das Publikum dann doch endlich aufwachen ließ. Spätestens an dieser Stelle zeigte sich, daß die oben angesprochenen Handzettel ziemlich überflüssig gewesen waren, denn Götz Widmann ist auch in den Mainzer Studentenkreisen längst kein Unbekannter mehr – und die Texte von „Sitzend pinkeln“ oder „Politiker beim Ficken“ sitzen beim Großteil des Publikums mindestens ebenso gut wie beim Interpreten selbst.
Umso besser, daß Götz Widmann danach vier Lieder seiner neuen CD „Zeit“ (Veröffentlchungs-Datum: 13. Oktober 2004) vorstellte, „bevor ihr wirklich alle besoffen seid“. Für einige kam dieser Zeigefinger bereits zu spät, denn ein kleiner Prozentsatz des Publikums hatte die Mahnung schon nicht mehr nötig und ein etwas größerer Teil der Anwesenden bewies durch fleißiges Mitsingen, daß die neue CD ihnen gar nicht erst vorgestellt werden mußte. Ein Lied aus dem vorherigen Album „Drogen“ zeigte, daß auch diese Titel anscheinend bereits hinlänglich bekannt waren und so ging Götz Widmann kurzerhand wieder zu Joint Venture-Liedern über.
Das Publikum war in allerbester Feierstimmung, die (leider?) aber auch bei den etwas ruhigeren Stücken, die eigentlich eher zum Durchatmen gedacht waren, noch immer anhielt, so daß viele lyrische Passagen dann doch untergingen. In dem Augenblick, als jedoch ein mitreißender Chorgesang gefordert wurde, waren alle sofort wieder auf dem Posten. Es folgte noch ein weiteres Stück von „Zeit“, bevor Götz Widmann eine Pause ausrief, um wieder etwas zu Atem zu kommen und sich um seinen CD-Bauchladen zu kümmern.
Überraschte Gesichter bei vielen Besuchern der CD-Kartons, als sich daneben eine Tee?Kaffee?Kanne befand, aus der sich Götz Widmann eifrig Flüssigkeit zuführte. Man sah es vielen an, daß sie die Bierflaschen vermißten, die sich bei Konzerten in den letzten Jahren doch immer wieder unmittelbar links und rechts vom Interpreten ansammelten. Spielt da etwa einer nüchtern? Ja, das tut er, bereits seit einigen Jahren verlegt er eventuelle Eskapaden auf die Zeit nach seinen Konzerten, da er dann nach eigenem Bekunden besser drauf sei und schneller auf Zwischenrufe reagieren könne.
Nach 20 Minuten, die viele, viele Leute dazu nutzten, sich entweder vor der Türe eine Lunge Frischluft zu genehmigen oder an der ohnehin schon gut besuchten Theke den Umsatz noch weiter anzukurbeln, begann dann der zweite Teil des Konzerts. Was man in dieser Halbzeit zu hören bekam, war eine gesunde Mischung aus Joint Venture- und Götz Widmann-Liedern. Das Publikum war schnell wieder eingefangen und eingespannt, feierte die bekannten Stücke mit fleißigem Stimmeinsatz. Ein erster Bruch tat sich jedoch ebenfalls auf – nach dem „Heavy Nylon“-Stück „Tagelange Nüchternheit“ wurde auch Götz Widmann nüchterner und brachte mit „Die Blume“, „Die zwei Trauben“ und „Glück“ drei ruhige und eigentlich ernste Stücke in Folge – Gift für die Atmosphäre, daran konnte auch der Abschluß des regulären Konzerts, „Ich schäme mich beim Wichsen“ nichts mehr ändern. Trotzdem weigerte sich das Publikum, den Sänger ohne Zugabe von dannen ziehen zu lassen. Und so setzte er sich nach kurzem Bitten wieder hin und spielte noch drei eigene Lieder, von denen eines („Erguß meines Schwanzes“) derzeit noch unveröffentlicht ist, jedoch beim Publikum sehr gut ankam.
Nach weiteren „Zugabe!“-Rufen holte Götz Widmann dann doch noch Peer Jensen von „Strom & Wasser“ auf die Bühne, um mit ihm fünf alte Joint Venture-Lieder zu intonieren, die er nach eigenen Angaben lange Zeit nicht mehr gespielt hatte, „weil es da doch sehr auf den Begleitgesang ankommt“. Nicht zuletzt dank einiger optischer Einlagen von Jensen war das Publikum noch einmal allerbester Laune.
Dritte Zugabe gefällig? Aber bitte – nach dem allseits bekannten „Süffelmann“ vom Joint Venture-Debüt schloß Widmann den Kreis mit dem Titelstück seiner aktuellen CD „Zeit“, nach eigenem Bekunden „ein echter Rausschmeißer“, womit er wohl auch zweifellos Recht hatte, denn dieses Stück tötete erfolgreich die Stimmung, die beim vorherigen Duett wieder aufgelebt war.
Die Uhr zeigte 1:15 Uhr, als endlich die Gitarre wieder in ihrer Tasche landete und der CD-Verkauf erneut gestartet wurde. Als Andenken nahm sich jeder eine CD mit ... oder die Erinnerung an einen feucht-fröhlich-verrauchten Abend ... alternativ konnte man natürlich auch ein Stück der Q-Kaff-Luft mit einem Messer rausschneiden und als Souvenir mit nach Hause nehmen. Mein herzliches Beileid an alle, die später noch die Spuren beseitigen mußten. Und ein großes Kompliment zum Abschluß noch an die Herren der Technik – selbst nach fast vier Stunden Dauereinsatz zeigte zumindest die Anlage nicht die leisesten Ermüdungserscheinungen.
Wer nun geneigt ist, sich das komplette Götz-Widmann-Konzert zu Hause nachzustellen, bekommt an dieser Stelle Titel und Reihenfolge der gespielten Lieder:
1. Sitzend pinkeln
2. Politiker beim Ficken
3. Danke Tanke
4. Der kleine Cent
5. Homo sapiens
6. Arme schöne Frau
7. Die Zaubersteuer
8. Das zwischen den Beinen
9. Das bittere Ende
10. Die zarte Artischocke
11. Markt, Marx Undsoweiter
12. Grimms Märchen
- Pause -
13. Scheiß auf deine Ex
14. Holland
15. Hank starb an ner Überdosis Hasch
16. Zöllner vom Vollzug abhalten auf der A4
17. Tach, Herr Chef
18. Ich liebe mich
19. Chronik meins Alkolismuss
20. Tagelange Nüchternheit
21. Die Blume
22. Die zwei Trauben
23. Glück
24. Ich schäme mich beim Wichsen
- 1. Zugabe -
25. Ich brauch Liebe
26. Erguß meines Schwanzes
27. Dein Vater hat nen Kater
- 2. Zugabe (mit Peer Jensen) -
28. Ich brauch Personal
29. Tiefes Leiden
30. Älter als Kurt Cobain
31. Geschenktes Gras
32. Arsch
- 3. Zugabe -
33. Süffelmann
34. Zeit
Bei „Strom & Wasser“ seien zumindest die mir bekannten Titel genannt:
1. Hammerschmidts Bombe
2. Sie handelt mit Träumen
3. Leise treten die Leisetreter
4. ?, wurde als „Abendgefühl“ angekündigt
5. Müllficken
6. ?
7. Das Strom & Wasser-Randfigurenkabinett
8. ?
9. Arsch meiner Freundin
- Zugabe -
10. Das Lied von der Elbe
Keep on liedermaching ...
Gruß
Skywise

Götz Widmann - live; ein Bericht

Verfasst: Mi 26. Jan 2005, 22:02
von fille
Hallo Sky,
vielen Dank für deinen farbigen Bericht :-D. Jetzt weiß ich, dass Liedermaching nix für meine zarte Seele ist ;-) .
Liebe Grüße
Marianne

Götz Widmann - live; ein Bericht

Verfasst: Do 27. Jan 2005, 06:28
von kmzweiein
Hi Sky ;-)
Es liest sich so als ob Du einen recht bunten Abend hattest. Nicht anders zu erwarten bei Widmann ... schöner Bericht.
@fille - "Liedermaching" als solches abzulehnen ist vergleichbar mit der Haltung (leider) vieler Leute die Biermann oder Wader oder meinetwegen auch Mey nicht mögen und daraus schließen, daß "Liedermachermusik" "doof" ist.
Aber nach diesem Bericht, zugegeben, könnte man sich sicher dazu hinreißen lassen. - Ich spiele übrigens auch auf vielen "Liedermaching" - Veranstaltungen, und der Weiherer auch, und der Bierhorst, der Flotte Totte .... sogar die von allen gelobte, sehr sensible, blinde Andrea Eberl ... (ich weiß noch ein paar ... ;-) ) .... aber bitte nicht ärgern lassen! ;-)
Lieben Gruß,
Micha

Götz Widmann - live; ein Bericht

Verfasst: Do 27. Jan 2005, 07:33
von Petra
Lieber Micha,
fille kennt Widmann ja gar nicht, aber die Titelliste hat genügt, sie abzuschrecken. ;-) Ich gebe ja gerne zu, dass ich regelmäßig Liedermaching höre, aber das zweite Lied der ersten Zugabe (Erguss ...) macht mich beispielsweise auch nicht besonders neugierig. Damit kann er sich gerne alleine rumplagen. ;-)
Aber Du hast Recht - wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen, kann man so manches schöne Stück entdecken, und lustig ist es allemal.
Viele Grüße von
Petra

Götz Widmann - live; ein Bericht

Verfasst: Do 27. Jan 2005, 08:02
von fille
Guten Morgen :-) ,
ich habe nicht gesagt, dass ich es ablehne. Aber wenn ich so die Titel lese, habe ich keine Lust, mich damit zu befassen.
Ich möchte natürlich auch keinerlei Wertung abgeben. Aber es kommt mir halt so vor, als ob das Motto "Desto ordinärer, desto besser" hieße (wenigstens teilweise).
Also, steckt's mich jetzt bitte in die falsche Schublade! Es gibt Leute, die halten deutsche Lieder generell für Schnulzen (genau wie Chansons). Ich stehe gerne dazu, am liebsten schöne lyrische und poetische Texte zu hören.
Wer die Übersetzungen von Renaud liest, merkt, dass seine Texte allerdings auch nicht ohne sind und die gefallen mir ja bekanntlich besonders gut.
Schönen Tag noch aus dem verschneiten Oberbayern
wünscht Marianne :wink:

Götz Widmann - live; ein Bericht

Verfasst: Do 27. Jan 2005, 08:50
von Diana
Guten Morgen!
Ich muss sagen, es geht mir ähnlich wie Marianne beim Lesen von Skywises Bericht... der übrigens sehr farbig und anschaulich ausgefallen ist, hat Spass gemacht, ihn zu lesen. :-D
Da ich ohnehin nicht viel von Schubladen halte und ausserdem noch nicht so richtig weiss, was ich von dieser offenbar selbstgewählten Kategorie "Liedermaching" insgesamt halten soll, bin ich weit davon entfernt, ein Pauschalurteil zu fällen. Es scheint mir auch, als wenn doch sehr unterschiedliche Liedermacher darunter zusammengefasst werden. Die Titelliste jenes Abends jedoch schreckt mich ziemlich ab... Nachdem ca. die Hälfte der Titel sich mit dem "Ding zwischen den Beinen", Alkohol oder Drogen beschäftigt, muss ich leider sagen, dass ich an so einem Liederprogramm kaum interessiert bin, auch auf die Gefahr hin, als prüde, langweilig oder verklemmt zu gelten (für Leute, die mich nicht kennen :-D ).
Wie Marianne habe ich überhaupt nichts dagegen, wenn solche Themen bei Liedermachern vorkommen und es darf auch ruhig mal deftig sein, aber ich bevorzuge dann doch wohl auch eher einen deutlich woanders gelagerten Schwerpunkt beim Hören von Liedern... ;-)
Was mich jedoch noch weit mehr abgeschreckt hat als die Titelliste, das ist die Tatsache, dass dort so hemmungslos gequalmt wurde. :-x
Ehrlich gesagt ist es mir ein Rätsel, wie ausgerechnet Sänger so lieblos mit ihrem wichtigsten Instrument umgehen können, dass sie es stundenlang diesen Giften aussetzen. :frage:
Für mich jedenfalls ist die Aussicht auf einen derart verqualmten Abend ein Kriterium, dort NICHT hinzugehen, und zwar vor allen anderen Gründen. :-(
Und jetzt haut mich, ihr lieben Glimmstengel-Süchtigen! :hammer:
Liebe Grüsse, Diana

Götz Widmann - live; ein Bericht

Verfasst: Do 27. Jan 2005, 10:42
von Skywise
Ich möchte natürlich auch keinerlei Wertung abgeben. Aber es kommt mir halt so vor, als ob das Motto "Desto ordinärer, desto besser" hieße (wenigstens teilweise).
Also, steckt's mich jetzt bitte in die falsche Schublade! Es gibt Leute, die halten deutsche Lieder generell für Schnulzen (genau wie Chansons). Ich stehe gerne dazu, am liebsten schöne lyrische und poetische Texte zu hören.
Wie bereits im Chat gesagt - die Wortwahl bei Joint Venture / Götz Widmann ist teilweise etwas derb, was über die Poesie der Texte allerdings nur wenig aussagt, ganz zu schweigen vom Einfallsreichtum, der hinter manchen Liedern steckt. Joint Venture hätten sich kaum eine größere Fangemeinde erspielen können, wenn sie immer nur ein Schimpfwort ans nächste gehängt hätten (obwohl ich da besser mal ganz ruhig sein sollte, da mir natürlich bekannt ist, daß sogar in den gut verdienenden Teilen des Musikmarkts umjubelte Künstler existieren, die seit Jahr und Tag nichts Anderes / nichts Anspruchsvolleres tun als wild und unkritisch durch die Geographie zu fluchen ... nur halt in Englisch, da scheint's die Leute weniger zu stören).
Ob man die Stücke von Joint Venture / Götz Widmann ordinär findet, bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Allein von den Titeln auf den Inhalt (oder auf den Umgang mit dem Thema) zu schließen, ist insofern schon etwas kritisch, weil man sich damit bös' verhauen kann. Hinter "Erguß meines Schwanzes" verbirgt sich eigentlich nichts Anderes als ein originelles (auch witziges) Liebeslied ... ähm ... aus einer ziemlich ungewöhnlichen Perspektive; das mit Abstand vulgärste Lied des Abends kam mit dem wenig provozierenden Titel "Ich brauch Liebe" daher. Und selbst da muß ich sagen, daß ich sogar von Wolf Biermann schon Schlimmeres gehört habe.
Probehören kann da helfen ;-)
Gruß
Skywise