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Wolf Biermann

Verfasst: Mo 11. Jun 2012, 13:35
von Skywise

Herbstgewitter schrieb:
Dem Bewusstsein, dass derlei tiefe Sprachlichkeiten - ob man sie nun mag oder eher opponiert - heute kaum noch möglich sind, nicht gefragt sind. So sehr kaum möglich und kaum gefragt, dass es dementsprechend kaum noch junge Musiker gibt, die "so" sind wie eben Biermann. Natürlich gibt es tollen Nachwuchs, aber die setzen eben mehr auf introvertierte Befindlichkeitsschilderungen.
Hm.
Abermals: hm.
Es gibt auch heute noch junge Leute, die eine ziemlich scharfe sprachliche Feder führen, auch und gerade in politischer Hinsicht, allerdings würde ich die heutzutage eher im Bereich des Rock, Punk oder Hip Hop suchen, nicht unbedingt unter den Liedermachern. Wenn man aggressive Thesen vertritt, macht es sich augenscheinlich besser, auch aggressive Musik als Mittel zu verwenden. Abgesehen davon fühlt man sich als aufbegehrungswilliger jüngerer Mensch wahrscheinlich deutlich besser verstanden, wenn man sich entschieden von den alten Vorbildern abgrenzt, und mal ehrlich - kaum etwas ist dermaßen "Old School" wie ein wortgewaltiger Sänger mit akustischer Gitarre.
Gruß
Skywise

Wolf Biermann

Verfasst: Mo 11. Jun 2012, 13:40
von Herbstgewitter

Ja, da bin ich der gleichen Meinung wie du, habe nur nicht extra hinzugesetzt, dass ich explizit von Liedermachern spreche.
Grundsätzlich füge ich aber noch hinzu, dass das, was heute unter "Mainstream" verstanden wird, mit Sicherheit per se und ganz bewusst weniger scharf sein soll/kann/darf als das, was noch vor 40 Jahren unter "Mainstream" nicht nur möglich, sondern auch gewünscht war. Die diversen Hintergründe dieser Entwicklung zu beleuchten würde aber definitiv den "Biermann"-Rahmen sprengen, also spar ich mir das an dieser Stelle.

Wolf Biermann

Verfasst: Mo 11. Jun 2012, 14:52
von Skywise

Herbstgewitter schrieb:
Grundsätzlich füge ich aber noch hinzu, dass das, was heute unter "Mainstream" verstanden wird, mit Sicherheit per se und ganz bewusst weniger scharf sein soll/kann/darf als das, was noch vor 40 Jahren unter "Mainstream" nicht nur möglich, sondern auch gewünscht war.
Wahrscheinlich schon. Die Diskussion würde ich an dieser Stelle auch nicht führen wollen, aber wenn man sich überlegt, daß Leute wie Biermann von diesem Umstand profitiert haben, muß man sich schon fast fragen, wie viele Leute uns heute in dieser Hinsicht durch die Lappen gehen ...
Gruß
Skywise

Wolf Biermann

Verfasst: Mo 11. Jun 2012, 15:01
von Herbstgewitter

Absolut. Und wieviel uns - die andere Seite der Medaille - stattdessen als "total von Belang und total wichtig" verkauft wird, obwohl man sich dafür früher nichtmal im Ansatz zum Plattenspieler bewegt hätte...
Die Guten bleiben unentdeckt, die Schlechten bekommen den Spot. Und umso besser du bist, um so schwieriger gestaltet sich deine Karriere. Klar, etwas arg vereinfacht dahingeschlaumeiert, aber: So ist sie, unsere zunehmend ins Paradoxe driftende Welt.

Wolf Biermann

Verfasst: Mo 11. Jun 2012, 16:13
von Skywise

Herbstgewitter schrieb:
Die Guten bleiben unentdeckt, die Schlechten bekommen den Spot. Und umso besser du bist, um so schwieriger gestaltet sich deine Karriere. Klar, etwas arg vereinfacht dahingeschlaumeiert, aber: So ist sie, unsere zunehmend ins Paradoxe driftende Welt.
Das hat aber weniger etwas mit Paradoxa zu tun, sondern vorrangig etwas mit Vermarktungsmechanismen. Heute sucht man halt nicht nach der einsamen Spitze, sondern eher nach dem Massenkompatiblen.
War auch früher nicht sooo viel anders, wenn man ehrlich ist, aber die Rahmenbedingungen haben sich stark verändert, gerade für den leicht zu velwechernden Bereich rinks und lechts des Mainstreams.
Gruß
Skywise

Wolf Biermann

Verfasst: Mo 11. Jun 2012, 16:17
von Herbstgewitter

Richtig, und diese Vermarktungsmechanismen sind letzten Endes paradox. Sei nicht zu gut, sonst kriegen wir dich nicht unters Volk. Um so beliebiger du bist, um so besser die Erfolgsaussichten.
So, nu hau ich mir aber selbst auf die Finger, hier geht es um Biermann, Herbstgewitter, verdammt nochmal, halte dich doch einmal an deinen eigenen Faden... :hammer:

Wolf Biermann

Verfasst: Mo 11. Jun 2012, 23:02
von Carsten K
Biermann, Degenhardt - auch wenn man sie eigentlich nicht miteinander vergleichen sollte und sie auch nie Freunde geworden sind (leider..), für mich sind beide geniale Liedermacher, die mich persönlich auch beide geprägt haben. Und ich nehme mir das Recht heraus, beide zu mögen.
Und ihre jeweiligen Lebenswerke gehören aus meiner Sicht beide in den Geschichtsunterricht, auch wenn ich politisch mit beiden nicht immer einer Meinung war und bin. Aber sie bezogen Stellung zu Themen, die ihnen wichtig erschienen, sie waren bereit, dafür auch Nachteile in Kauf zu nehmen, und es ging ihnen beiden darum, mit ihren Liedern die Welt zu verbessern. Und beide hatten eben die Begabung, aus ihren Anliegen tolle Lieder zu produzieren.
Biermann lebt, er kann das weiterhin, Degenhardt leider nicht mehr, weil er Ende letzten Jahres verstorben ist. Schade, dass die beiden nie reunde geworden sind... ;-(

Wolf Biermann

Verfasst: Mi 13. Jun 2012, 18:03
von Friedrich-H

Helmut schrieb:
Lieber Michael
Mir macht es auch Sapß, drum muss ich auch noch meinen Senf dazu geben:
Wenn ich bezüglich Menschenrechtsverletzungen den real existierenden Sozialismus mit dem Nazi-Regime vergleiche, hältst du das für eine Verharmlosung des deutschen Faschismus. Ich halte es für eine Verharmlosung der Stasi-Herrschaft, wenn du sie mit dem „grassierenden Neoliberalismus“ vergleichst. Ich behaupte, von den drei Übeln ist bezüglich Menschenrechtsverletzungen der Kommunismus viel näher am Faschismus als am Neoliberalismus, besonders dann, wenn man nicht den deutschen Faschismus zugrunde legt, sondern die Urform, den italienischen Faschismus. Ich komme hoffentlich nicht in den Verdacht, etwas beschönigen zu wollen, wenn ich darauf hinweise, dass es in Italien nichts gab, was mit Auschwitz vergleichbar ist.
Als ich nach Kennzeichen des Faschismus recherchiert habe, fand ich keinen Punkt, der nicht auch auf den Kommunismus zugetroffen hätten. Sogar der Begriff „antikommunistisch“ trifft zu, wenn man –und damit komm ich wieder auf das Ausgangsthema zurück- berücksichtigt, wie die DDR den Kommunisten Biermann behandelt hat. Ich bin überzeugt, jeder der hier das Maul zu weit aufreißt (und da zähl ich dich und mich dazu) hätte auf die Dauer in dem „roten Drittel“ gewaltige Schwierigkeiten bekommen, und drum bin ich heilfroh, dass ich mich „nur“ mit den Übeln herum plagen muss, die mitunter als Klerikalfaschismus bezeichnet werden.
Schönen Restsonntag
Helmut

@Helmut
Eine grundlegende Differenzierung Sozialismus/Faschismus obgleich durchaus notwendig würde den Rahmen der Diskussion mitunter sprengen.
Aus eigenen Erfahrungen heraus kann ich jedoch hinzufügen das ich vor einigen Jahren bestrebt war meine humanistischen Ideen und Ansichten in Form von politischer Arbeit zu verwirklichen. Der demokratische Sozialismus erschien mir hierbei nach eingängigem Studium als der geeignete Rahmen, also schloss ich mich 2007 der neu gegründeten Partei dieses Namens an, respektive Die LINKE.
Ich bin dort für zwei Jahre Funktionär gewesen.
Mit den dortigen tatsächlichen Realitäten des menschlichen Umganges und des Miteinanders konfrontiert, sowie innerhalb des gesamten linken Spektrums, muss ich sagen wurde ich grundlegend vom Sozialismus kuriert !!
Es ist durchaus eine sehr anziehende Ideologie für Menschen welche grundlegende Probleme des gesellschaftlichen Miteinanders zu lösen bestrebt sind. Die tatsächliche Umsetzung dieser sogenannten "sozialistisch-humanistischen Ideen" steht allerdings auf ganz anderen Blättern, und erzeugt nicht selten anderweitig gefährliche Tendenzen und Diskriminierungsmechanismen.
Heiko


Wolf Biermann

Verfasst: Sa 16. Jun 2012, 18:24
von Reino

Helmut schrieb:
Hallo
Mir geht es ähnlich wie Gesch: Es muss gegen Ende der 70-er Jahre gewesen sein, da erlebte ich Degenhardt live. In einem Lied sang er sinngemäß. "Zum Glück ist ein Drittel der Erde schon rot."
Wer damals dieses rote Drittel (die erste Formulierung hab ich wieder gelöscht) für einen Glücksfall hielt, hat sich für mich disqualifiziert. Ich hab mir nie wieder ein Degenhardt-Lied angehört.
Gruß
Helmut
Und Biermann sang
So oder so, die Erde wird rot.
Entweder lebend rot oder tot rot.
Wir mischen uns da 'n bißchen ein.
So soll es sein, so soll es sein, so wird es sein.

Ich war großer Biermann-Fan, hab einen Siebdruck von ihm gestaltet (in Schwarzweiß auf dem Cover von FOLKMAGAZIN:

und für immerhin 75 Mark die Raubpressung "Der Biermann kommt" ersteigert (später sagte Reinhard Hippen, er hätte die rausgebracht und ich hätte die fast für umme von ihm gekriegt).
Nach der Ausbürgerung war der Zauber schnell verflogen. Die neuen Lieder hatten nichts mehr mit mir zu tun, und Biermann machte sich schnell unsympathisch. Allerdings finde ich Reinhard Mey ungeheuer sympathisch, und ich mag mir seine Lieder nach 1974 trotzdem nicht anhören.