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von Gesch
#3
hallo zusammen,
thema gundermann, eigenes erlebnis:
ich hab auf meiner rundfahrt mit protestgesang am sonntag, 20. september 2020, auch in der lausitz station gemacht und durfte bei dem waldspaziergang gegen die ausweitung des tagebaus nochten ein paar lieder spielen.
es war im zusammenhang mit dem gleichzeitigen besuch von michael zobel und eva töller, den organisatoren der waldspaziergänge am hambacher wald im rheinischen braunkohlerevier, die ebenfalls deshalb in die lausitz gefahren waren. dort gab es zum abschluss des waldspazierganges einige reden und dann auch lieder.
ich hab die drei zunächst von mir gespielten lieder als unterstützenden gruß von west nach ost, aus dem einem revier ins andere, verstanden und so auch erklärt und bin offensichtlich auch so verstanden worden.
nach mir spielte dann als lokalmatador der wohl in berlin lebende lausitzer liedermacher „geigerzähler“. er kündigte als letztes lied eins „von einem baggerfahrer“ an und sang als zugabe ein lied von gundermann.
danach fragte er mich, ob ich zum abschluss auch noch ein lied spielen wollte. ich hab mich nicht lange bitten lassen und ebenfalls ein lied des baggerfahrers angekündigt - „brigitta“ - das einzige gundermannlied in meinem repertoire, an das ich mich herangewagt hatte, nachdem ich den gestern in der ard ausgestrahlten film schon vor geraumer zeit im kino gesehen hatte.
ich hatte, in der absicht, mit diesem lied einen brückenschlag zwischen den braunkohlerevieren zu versuchen, an den originaltext des liedes eine eigene, sehr gering veränderte, in den westen verlagerte textversion drangehängt, die ich auch in einer anderen tonart gesungen habe. diese erläuterung hab ich gegeben, bevor ich das lied dann gesungen habe
für mich war es ein lied, mit dem ich die forderung nach einem aus klimaschutzgründen erforderlichen ausstieg aus der braunkohleverstromung und damit auch aus dem braunkohleabbau musikalisch unterstützen und eine klammer zwischen dem widerstand in ost und west herstellen wollte.
was dann folgte, war eher surreal, aber ich hätte vielleicht drauf gefasst sein sollen.
kleine zwischengeschichte:
ich hatte 2003 in thüringen als journalist (nicht als liedermacher) an einem seminar der landeszentrale für politische bildung zum thema „liedermacher in ost und west“ teilgenommen und hatte dort erstmals den namen gundermann gehört, als sich ein vertreter aus seinem fanclub, der sich - in begleitung von einigen anderen gundermann-fans - als zugehöriger der „seinschaft“ beschrieb, mit einer verehrung über den verstorbenen sänger ausließ, die mich beinah schon befremdet hatte. dabei war eine stasivergangenheit gundermanns gar nicht erwähnt worden, von der erfuhr ich erst später.
so war mir gundermann als ein künstler ein begriff geworden, dem von seinen fans nahezu grenzenlose verehrung entgegengebracht wurde.
johan war dann im forum jemand, der sich - ohne ddr-vergangenheit - intensiver mit gundermann auseinandersetzte. im kontakt darüber mit ihm, hab ich versucht, von conny gundermann eine einwilligung zu der von mir gemachten bearbeitung von „brigitta“ zu erhalten.
dabei erfuhr ich, dass die erben des nachlasses solche bearbeitungen prinzipiell ablehnten. ich dürfe also das lied nicht auf kommerziellem tonträger veröffentlichen - es live in der von mir beschriebenen intention des brückenschlages zu singen, sei mir aber nicht untersagt.
und deshalb hatte ich dann auch am tagebau nochten nicht gezögert, das lied als zugabe zu singen. kaum war ich fertig, eilte geigerzähler an mein mikro, um dem immer noch applaudierenden publikum sein befremden darüber mitzuteilen, dass da ein liedermacher aus dem westen einfach dieses lied singe, das ganz klar vom ende der ddr mit all den dabei inbegriffenen verwerfungen in wirtschaft und gesellschaft handele, die ich als westler gar nicht erfassen könne.
bedröppelt hab ich mit wenigen sätzen erneut meine intention erläutert, hab dafür nochmal beifall bekommen, und bin dann vom mikro weggegangen. dort hat geigerzähler dann ein weiteres lied von gundermann gesungen.
beim zusammenpacken der instrumente sprach mich geigerzähler dann noch mal an und bat um nachsicht: ihn habe es sehr aufgewühlt, meine interpretation zu hören. ob ich das verstehen könne.... ich sagte ihm, dass mir das so ganz nicht gelänge... er gab mir seine cd, ich hatte von mir keine dabei...
bis zum ende der veranstaltung und dem antritt des rückweges vom kundgebungsplatz im wald hat mich nicht ein einziger zuhörer auf den vorgang angesprochen...
mir scheint, es gibt nicht nur immer noch eine mauer in den köpfen zwischen ost und west, sondern auch noch ne menge gräben, wenn auch wohl mit unterschiedlichen tiefen...
das lied hab ich aus dem repertoire genommen.
ich muss es ja nicht singen.
gerd
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Damit was geschieht, muss zunächst was passiern.
Muss man, eh sich was ändert, denn erst was verliern?
Eh man sich erholt, bleibt keine Zeit auszuruhn,
denn eh sich was tut, muss man selber was tun.