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von Michael
#17
Hallo,
nachdem ich „Dreizehnbogen“ jetzt ein paar Mal gehört habe, glaube ich, mir eine erste Meinung bilden zu können. Gerademal eineinhalb Jahre ist das Erscheinen von „Dämmerung“ her und da hatte ein Rezensent schon ausgemacht, es sei eine Platte mit der Kraft eines letzten Wortes, ohne dass es hoffentlich ein solches sei. Sie war’s ja nun auch nicht. „Dreizehnbogen“ ist nicht ganz so melancholisch wie der Vorgänger, nicht ganz so offensichtlich von einem Mann weit über siebzig wie „Dämmerung“, auch wenn das Alter schon in einigen Liedern hervor scheint. Was mir an dieser Platte besonders aufgefallen ist – um mal mit dem Musikalischen anzufangen – Degenhardt ist ein wirklicher Ohrwurmschreiber, was man eigentlich nicht so erwartet. Aber diese Platte hat besonders schöne Melodien und Arrangements. Die schrägen Töne – für die Degenhardt ja auch bekannt ist – fehlen eher. Die Themen dagegen sind die typischen Degenhardt-Themen:
1) Digitaler Bohemien: der Opener skizziert so einen typischen Mittelklasse-Traum: einfach in den Tag hinein leben zu können, sich der Kunst und der Bildung hinzugeben, wenn man Lust hat als Straßenmusiker aufzutreten und in Wahrheit die Sicherheit von Millionen Euro im Rücken zu haben. Das alles im fröhlichen Dreiviertel-Takt. Degenhardt entlarvt diesen Traum vom Boheme-Leben in der letzten Strophe als Wunsch- und Trugbild unserer von Abstiegsängsten geprägten Gesellschaft.
2) Den Fluss hinunter: Vor dreißig Jahren hatte Degenhardt – inspiriert von einem Bild seiner Schwägerin Gertrude - das Lied „Im Gonsbachtal“ gesungen. Zu einem weiteren Bild von ihr – „Le bon vieux temps“ – singt er jetzt dieses Lied über die „Letzten vom Gonsbachtal“. Die, die sich die alten Träume bewahrt haben trotz der ganzen Opfer die diese Träume gekostet haben und damit wie aus der Zeit gefallen wirken.
3) Das Leibregiment: Ein Text von Kurt Tucholsky in der bekannten Vertonung von Werner Richard Heymann. Die zeitlos gültige Satire über den Militarismus. Und by the way: Wann hatte man schon mal ein Degenhardt-Lied, dass man sofort mitsummt – „radibimmel, radibammel, radibommel“.
4) Krieg ist Krieg: Einer der typisch degenhardt’schen Sprechtexte, in dem er sich die typisch zynische Argumentation der „Gegner“ zu Eigen macht. Diesmal geht es um „Kollateralschäden“ – und die Beispiele sind nicht mal erfunden.
5) An der Quelle: Eine Anspielung auf Bellmann und dessen Themen „Liebe, Schnaps, Tod“, wie Hannes Wader es genannt hat. Das ist schon eher das Lied eines alten Mannes, der seine Zeit langsam schwinden sieht, die Lebenslust aber nicht verliert. Und das mit einer fröhlichen und munteren Melodie. Gar nicht mehr melancholisch, wie noch in dem Lied „Dämmerung“ von der vorigen Platte.
6) Die Ernte droht: Die Politik holt uns auch hier wieder ein. Ein Lied über den „großen Kladderadatsch“, das Platzen der neoliberalen Blase, das uns irgendwann bevorsteht. Die Arche für Hund und Katz der Milliardäre steht jedenfalls schon bereit.
7) Das Trauerspiel von Afghanistan: Von Theodor Fontane. Eine Ballade von 1858 über den ersten britisch-afghanischen Krieg, der für die Engländer ein Desaster war. Dramatisch wie solche Balladen nun mal sind - wozu sollte man über die Situation in Afghanistan einen neuen Text schreiben, wenn’s diesen gibt. Degenhardt hat in den vergangenen Jahren ein gutes Talent entwickelt, passende und aktuelle Texte aus der Klassik zu entdecken.
8) Die Kartusche: Noch ein Lied zum Hauptthema der Platte – dem Krieg – und einer dieser Degenhardt-Typen. Diesmal Onkel Heinz, der sich in eine Artillerie-Geschoss-Hülse aus dem ersten Weltkrieg eingraviert hat: „Nie wieder Krieg und Scheiß auf den Sieg“. Und diesen deutlichen Vers, dem man nichts hinzufügen muss, rotzt uns Degenhardt jetzt entgegen.
9) Jeder Traum: Ein dritter Text, der nicht von Degenhardt ist. Diesmal ein Gedicht von Louis Fürnberg, der offenbar mehr und besseres gemacht hat als das von allen Seiten bewusst oder unbewusst missverstandene (und wirklich, na ja sagen wir mal unglücklich formulierte) „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“. Eine vorläufige Bilanz eines Lebens im Widerspruch.
10) Dreizehnbogen: Nach „Café nach dem Fall“ und „Jugendfreunde“ holt Degenhardt wieder zu einer großen Erzählung aus: 16 Minuten 40 diesmal. Er erzählt von Begegnungen in seinem alten Kiez, an der Eisenbahnbrücke Dreizehnbogen. Das erzähle ich hier natürlich nicht nach. Aber man merkt wieder einmal, dass Degenhardt nicht nur ein hervorragender Lyriker - sondern eben auch ein guter Erzähler ist. Und von diesen jeden Rahmen eines Liedes sprengenden Geschichten, will ich gern noch mehr hören.
Fazit: Von Bisslosigkeit oder Altersschwäche ist bei dieser Platte nichts zu spüren. Auch wenn Degenhardt keine Konzerte mehr gibt – nach einem letzten Wort klingt’s diesmal überhaupt nicht.
Michael
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Und vielleicht gibt es morgen ja schon den Crash,
dass die Kurse und Masken fallen.
Also laßt uns freuen und träumen davon,
wie die Racheposaunen erschallen.
Franz Josef Degenhardt